Der Roman eines geborenen Verbrechers | Page 9

Antonino M.
Gelegenheit und kein Mittel unbenutzt gelassen sind, um normale Veranlagung und krankhafte Neigungen zu entdecken, werden wir jetzt alles darlegen, was zu einem diagnostischen Urteil über den Geisteszustand des M... führen kann.
Wir fanden bei Antonino M...:
1. =Erbliche krankhafte Veranlagung.= Wir wollen auf die Mitteilungen über diesen Punkt kein Gewicht legen, da sie von der Ehefrau des M... herstammen, die an der Verteidigung interessiert ist. Dennoch ist eine Wahrscheinlichkeit vorhanden. Wie wir sp?ter sehen werden, l??t sich der krankhafte Charakter des M... als ein Komplex von Anomalien der Entwickelung darstellen, der nicht individuellen Ursprung haben kann, sondern ihm von seiner Familie überkommen sein mu?, insofern er n?mlich, abgesehen davon, da? er sie schon in sehr jugendlichem Alter zeigt, einen angestammten Mangel an dem Halt zeigt, vermittelst dessen Leute aus gesunden Familien gew?hnlich zum Gleichgewicht der geistigen Kr?fte und der Nervenfunktionen gelangen.
2. =Gewohnheitsm??igen Hang zum Verbrechen.= M... hat von seinem 18. Jahr bis heute in einer ununterbrochenen Kette von Verbrechen gelebt, die ohne Ausnahme alle nicht durch genügende, der Gesamtwirkung entsprechende Motive erkl?rt sind.
Deshalb ist kein Zweifel, da? man in M... eine Disposition zum Verbrechen annehmen mu?, die an seine Konstitution gebunden ist. Es giebt keinen Fall, an dem man besser zeigen kann, da? es Verbrecher giebt, die es erst durch natürlichen Hang zum Verbrechen geworden sind. Das zeigt auch die Erw?gung, da? er eine gewisse Art von Verbrechen und keine anderen begeht; in seiner Pers?nlichkeit ist immer das Movens zu einem Verbrechen gegeben, er findet in jeder gegebenen Bedingung der Umgebung oder der Gesellschaft einen Anla?, mit Gewaltth?tigkeiten, Aufruhr und Blutthaten zu antworten, und er kann deshalb aus den verschiedensten Gesichtspunkten als der pr?gnanteste Typus des antisozialen Menschen bezeichnet werden. Strafen, Leiden, Vorwürfe, Entfernung vom Vaterland und den Angeh?rigen hatten keinen Einflu? auf die Ausbrüche seiner Natur. Er war und ist eine Gestalt des =instinktiven Verbrechers=, aus der Klasse der unmoralischen blutdürstigen Verbrecher. Ich hebe die bemerkenswerte Thatsache hervor, da? M... keinen Hang zum Diebstahl gehabt zu haben scheint. Unter den geborenen Verbrechern, den krankhaften Produkten individueller Entwickelung oder konstitutioneller Krankheit mu? man mehrere Typen unterscheiden, welche gemeinsame und verschiedene Charakterzüge haben, die die Grenze zwischen den einzelnen bezeichnen, ohne deshalb die Thatsache auszuschlie?en, da? in demselben Individuum ein gemischter Typus auftreten kann. Nach den Ermittelungen hervorragender Kriminalisten sondern sich die Diebe von den M?rdern und den Verbrechern gegen die guten Sitten, welche letztere auch M?rder und Diebe sein k?nnen, aber die Unterscheidung zwischen den beiden ersteren ist h?ufiger. Das entspricht mit gro?er Deutlichkeit dem klinischen Typus, den M... als Verbrecher der zweiten Klasse darstellt. Wir sagen das, weil seine p?derastischen Anwandlungen von besonderen Umst?nden hervorgerufen und vorübergehend waren, und nicht zu anderen sexuellen Scheu?lichkeiten sich entwickelten, die sonst den Sexualperversen eigen sind. Auch die F?lschung, die er einmal beging, kann man nicht als dem Diebestypus zuzuz?hlen bezeichnen, denn die Absicht, in der er sie beging, war vielmehr der Ausdruck eines Mangels an moralischem Gefühl, als eine Tendenz zu den Verbrechen, zu welchen Verstellung, Vorbereitung, Z?higkeit und gemeiner Charakter geh?ren. Der Umstand, da? M... sich auch in seiner Straf- und Dienstzeit wiederholt über Geldmangel beklagt, ohne da? er, wenigstens soviel wir wissen, sich zum Stehlen hat hinrei?en lassen, zeigt, wie sehr der besondere und unbezwingliche Hang zum Verbrechen der natürliche Effekt seiner Konstitution und nicht au?erhalb seines Organismus wirkender Bedingungen war. M... zeigt, abgesehen von einer besonderen Hartn?ckigkeit und einer raschen Auffassungsgabe, die ihn unter seinen Gef?hrten hervorragen l??t und ihm leicht die Mittel zum Verbrechen und zur Verteidigung in die Hand giebt, eine der gew?hnlichen Intelligenz der Verbrecher überlegene Intelligenz, welche seinen Geist zu Urteilen allgemeinerer Art führt, so da? er den Rohstoff zu einem Schriftsteller und Philosophen in sich tr?gt.
M... war und ist auch besonderer Affekte des Hasses und der Liebe f?hig, die an Intensit?t, Art und F?rbung sich sehr von denen unterscheiden, welche bisweilen einen weniger unedlen Zug des gew?hnlichen Verbrechers bilden, bei dem es schon viel ist, wenn er inmitten der vielen Beweise für einen weitgehenden Mangel an moralischem Gefühl irgend eine z?rtliche Neigung oder eine anscheinende Edelmütigkeit entwickelt, wenn er Personen oder Umst?nden sich gegenüber befindet, die sein Gelüst oder sein Interesse nicht reizen.
Man wei?, in welche übertreibung eine gewisse Bewunderung für die Affekte und den Gro?mut der Verbrecher, besonders der Briganten, ausgeartet ist. M... ist ein geborener Verbrecher, bei dem die Perioden, wo er wild, grausam, heftig, falsch, verworfen, zornig, hochmütig, argw?hnisch &c. &c. ist, mit anderen abwechseln, wo er weniger wild gewesen und sogar teilweise edelmütig und liebevoll ist. Deshalb mu? man festhalten, da? M... als Verbrecher nicht von der Geburt allein den ganzen Umfang seiner krankhaften moralischen Disposition habe. Der geborene Verbrecher hat als krankhafte Individualit?t seine Analogien mit stark nervenkranken und seelenkranken Personen, bei denen die Krankheit eine Folge von Entwickelungsanomalien infolge ererbter Ursachen oder eine Folge von Einflüssen degenerierender Art ist,
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