gegen das Verbrechen zu schaffen, ohne
daß deshalb die Gesellschaft sich zu dem erlittenen Schaden noch mit
der Sorge für den lebenslänglichen Unterhalt des Verbrechers belasten
müßte?
»Die Antwort liegt mir auf den Lippen, aber ich will sie nicht
aussprechen, weil unsere Mondscheinromantik vorschreibt, auch die zu
lieben, die uns Böses thun, also gerade das Gegenteil von dem, was die
Natur thut, welche durch ihre ewigen Kämpfe eine reinigende
Zuchtwahl vornimmt.
»Meine Herren Geschworenen, die Strafirrenanstalt in Italien ist ein
Unding. Thatsache ist, daß die gefährlichen Narren, die nicht für
strafbar erkannt werden, wieder frei herumlaufen, oder wenn sie ins
Irrenhaus gebracht werden, mit Hilfe ihrer Advokaten bald wieder
herauskommen. Und das Gesetz begünstigt ihre Entlassung. Wenn M...
zu zehn Jahren verurteilt wird, so ist es so gut wie sicher, daß er
während dieser Zeit die Gesellschaft nicht belästigen kann.
»Bedenken Sie: der Bruder hofft, daß er weder begnadigt wird, noch
vor der Zeit wegen guter Führung entlassen wird. Alles kann daraus
folgen!«
Ehe die Verhandlung geschlossen wurde, hielt M... eine
Verteidigungsrede, die zwei Stunden dauerte. Er sprach mit unerhörter
Emphase, er ließ sich in seinem Gedankengang und in der Erregung so
sehr hinreißen, daß er in einen förmlichen Zustand der Raserei geriet,
so daß man ihn beruhigen und die Sitzung unterbrechen mußte. Das
Publikum war der Ueberzeugung, daß er für unzurechnungsfähig
erklärt werden würde; der Bruder, der ihn von draußen hörte, flehte
Gott, die Sachverständigen, die Geschworenen an, daß er verurteilt
werden möchte. Wehe ihm, wenn er freigesprochen wurde. Er traute
dem Panacee der Strafirrenanstalt nicht.
Während der ganzen Verhandlung gegen M... war seine Familie, ein
Engel von Weib, und seine hübschen Kinder zugegen, und erschütterten
durch ihr unaufhörliches Weinen das Publikum. Er wurde unter der
üblichen Annahme mildernder Umstände zu sechzehneinhalb Jahren
Zuchthaus verurteilt.
VI.
Das ist der Mann, dessen Biographie ich veröffentliche; das ist sein
Leben inmitten der Hilfsmittelchen, mit denen die Gesellschaft sich
einbildet, sich selbst verteidigen und verbrecherische Neigungen
unterdrücken und sogar bessern zu können.
Aber anstatt Betrachtungen anzustellen, will ich eine andere Seite
seiner Individualität aufschlagen, ich meine die physische und
psychische Darstellung seiner Person. Und dazu gebe ich einem Manne
das Wort, der dazu besser berufen ist als ich, dem Professor Silvio
Venturi, welcher mit wissenschaftlicher Genauigkeit die besonderen
Charakteristika des M... darlegen wird.
Physische Untersuchung.
Wenige Tage nach der Einlieferung des M... in die Irrenanstalt zu
Girifalco schritt ich zu einer eingehenden Untersuchung, die folgendes
Resultat ergab.
=Allgemeiner Befund=: Kräftiger Knochenbau, starkes Fettpolster,
Dolicocephale, Haar etwas spärlich, dunkelbraun, ab und zu mit
weißen Fäden durchzogen; ziemlich hohe Stirn mit Längs- und
Querfurchen. Die Ohren gut gewachsen, aber leicht henkelförmig,
Gegenleisten kaum vorhanden, mit Spuren des Darwin'schen Höckers.
Die Augen in gleicher Höhe, im linken Auge eine Nickhaut,
Conjunktiva normal. Augenbrauen normal, rechts stärker geschwungen
als links. Das Wangenjochbein tritt wenig hervor, weil mit Fettpolster
bedeckt, der Gesichtsausdruck ist schlaff und welk. Die Zähne sind
unterbrochen. Am Daumen der linken Hand eine Narbe, die von einem
schneidenden Werkzeug herrührt, ebenso eine in der
Leistendrüsengegend. Mehrfache Tätowierungen, auf dem rechten Arm:
ors fuduli, auf der Brust: a morte l'infame (Tod der Schmach), auf dem
linken Arm V und K, auf dem Rücken der rechten Hand O und F.
=Craniometrie=:
Diameter ant. post. maximus mm 191 Diameter transversalis " 153
Kopfindex " 80 Horizontaler Umfang " 550 Vorderer (halber) Umfang
" 275 Hinterer (halber) Umfang " 275 Curva longitudinalis " 300
Curva transversalis " 220 Diameter bifrontalis minimus " 95 Stirnhöhe
" 60
=Prosopometrie=:
Gesichtshöhe mm 127 Diameter bizigomaticus " 115 Gesichtsindex "
30
=Anthropometrie=:
Größe m 1,56 Weite der ausgestreckten Arme " 1,58 Brustumfang cm
85 Linea jugulo-xifoidea " 16 Linea xifo-umbilicalis " 25 Linea
umbilico-pubica " 15,05 Linea biiliaca " 29 Länge des Oberschenkels "
68,05 Länge des Unterschenkels " 30 Körpergewicht kg 75,00
Kurzer dicker Hals -- die fossae ober- und unterhalb des Schlüsselbeins
mit Fettpolster bedeckt -- breite Brust, die interkostalen
Zwischenräume wenig sichtbar. -- Ausatmung auf beiden Seiten der
Brust gleichmäßig -- Anzahl der Atmungen siebzehn in der Minute. Bei
Perkussion und Auskultation der Brust ist weder vor noch nach der
Atmung etwas Abnormales zu bemerken.
=Blutumlauf=: Herzdämpfung von normaler Größe -- Herztöne rein --
regelmäßiger und kräftiger Pulsschlag -- normale Funktion der
Arterien.
=Verdauungsapparat=: Zunge rein und feucht. -- Ab und zu leidet er
an Schmerzen in den Eingeweiden. -- Stuhlgang regelmäßig. -- Bauch
weich und unempfindlich gegen Druck.
=Geschlechtsapparat=: Geschlechtsorgane normal -- große Hoden.
Die Untersuchung des Urins ergiebt folgendes Resultat: strohgelbe
Farbe -- saure Reaktion -- Eiweiß und Zucker nicht vorhanden --
kohlensaure Salze in geringer Menge -- alkalische und erdige
Phosphate in normaler Menge -- Chloride ziemlich selten. -- Bei
mikroskopischer Untersuchung erscheinen keine organischen Gebilde.
=Leberdämpfung= von normalem Umfang, indolent.
=Milzdämpfung= normal.
=Vasomotorische Erscheinungen=: Die hyperhämischen Linien des
Trousseau'schen Phänomens zeigen sich rasch und dauernd auf der
Brust
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