Der Parasit, oder die Kunst, sein Glueck zu machen. | Page 6

Friedrich von Schiller
wenn Sie wollen, v?llige Auskunft ��ber ihn geben.
Selicour. Ich glaub's! Ich glaub's! Aber ich bin eben nicht neugierig, ganz und gar nicht! Sehen Sie, Monsieur Michel! Mein Grundsatz ist: Handle recht, scheue Niemand.
Michel. Sch?n gesagt!
Selicour. Nun also weiter! Fahren Sie nur fort, Monsieur Michel!-- Der gute Herr ist also ein wenig eigen, sagen Sie?
Michel. Er ist wunderlich, aber gut. Sein Herz ist lauter, wie Gold.
Selicour. Er ist reich, er ist ein Wittwer, ein angenehmer Mann und noch in seinen besten Jahren.--Gestehen Sie's nur--er ha?t die Weiber nicht, der liebe, w��rdige Mann.
Michel. Er hat ein gef��hlvolles Herz.
Selicour (l?chelt fein). He! He! So einige kleine Liebschaften, nicht wahr?
Michel. Mag wohl sein; aber er ist ��ber diesen Punkt--
Selicour. Verstehe, verstehe, Monsieur Michel! Sie sind bescheiden und wissen zu schweigen.--Ich frage in der besten Absicht von der Welt; denn ich bin gewi?, man kann nichts erfahren, als was ihm Ehre bringt.
Michel. Ja! H?ren Sie! In einer von den Vorst?dten sucht er ein Quartier.
Selicour. Ein Quartier, und f��r wen?
Michel. Das will ich schon noch herausbringen.--Aber lassen Sie sich ja nichts verlauten, h?ren Sie?
Selicour. Bewahre Gott!
Michel. Galant war er in der Jugend.--
Selicour. Und da glauben Sie, da? er jetzt noch sein Liebchen--
Michel. Das eben nicht! Aber--
Selicour. Sei's, was es will! Als ein treuer Diener des w��rdigen Herrn m��ssen Sie einen christlichen Mantel auf seine Schwachheit werfen. Und warum k?nnte es nicht eine heimliche Wohlthat sein? Warum das nicht, Herr Michel?--Ich hasse die schlechten Auslegungen --In den Tod hasse ich, was einer ��beln Nachrede gleicht.--Man mu? immer das Beste von seinen Wohlth?tern denken.--Nun! Nun! Nun, wir sehen uns wieder, Monsieur Michel!--Sie haben mir doch meinen trockenen Empfang verziehen? Haben Sie?--Auf Ehre! Ich bin noch ganz schamroth dar��ber! (Gibt ihm die Hand.)
Michel (weigert sich). O nicht doch, nicht doch, Herr Selicour! Ich kenne meinen Platz und wei? mich zu bescheiden.
Selicour. Ohne Umst?nde! Z?hlen Sie mich unter Ihre Freunde!--Ich bitte mir das aus, Monsieur Michel!
Michel. Das werd' ich mich nimmer unterstehen--ich bin nur ein Bedienter.
Selicour. Mein Freund! Mein Freund! Kein Unterschied zwischen uns. Ich bitte mir's recht aus, Monsieur Michel!
(Indem sich Beide becomplimentieren. F?llt der Vorhang.)

Zweiter Aufzug.

Erster Auftritt.
Narbonne und Selicour sitzen.
Narbonne. Sind wir endlich allein?
Selicour (unbehaglich).--Ja.
Narbonne. Es liegt mir sehr viel an dieser Unterredung.--Ich habe schon eine sehr gute Meinung von Ihnen, Herr Selicour, und bin gewi?, sie wird sich um ein Gro?es vermehren, ehe wir auseinander gehen. Zur Sache also, und die falsche Bescheidenheit bei Seite. Sie sollen in der Diplomatik und im Staatsrecht sehr bewandert sein, sagt man?
Selicour. Ich habe viel darin gearbeitet, und vielleicht nicht ganz ohne Frucht. Aber f��r sehr kundig m?chte ich mich denn darum doch nicht--
Narbonne. Gut! Gut! F��rs erste also lassen Sie h?ren--Welches halten Sie f��r die ersten Erfordernisse zu einem guten Gesandten?
Selicour (stockend). Vor allen Dingen habe er eine Gewandtheit in Gesch?ften.
Narbonne. Eine Gewandtheit, ja, aber die immer mit der strengsten Redlichkeit bestehe.
Selicour. So mein' ich's.
Narbonne. Weiter.
Selicour. An dem fremden Hofe, wo er sich aufh?lt, suche er sich beliebt zu machen.
Narbonne. Ja! Aber ohne seiner W��rde etwas zu vergeben. Er behaupte die Ehre des Staats, den er vorstellt, und erwerbe ihm Achtung durch sein Betragen.
Selicour. Das ist's, was ich sagen wollte. Er lasse sich nichts bieten und wisse sich ein Ansehen zu geben.--
Narbonne. Ein Ansehen, ja, aber ohne Anma?ung.
Selicour. So mein' ich's.
Narbonne. Er habe ein wachsames Auge auf alles, was--
Selicour (unterbricht ihn). Ueberall habe er die Augen; er wisse das Verborgenste aufzusp��ren--
Narbonne. Ohne den Aufpasser zu machen.
Selicour. So mein' ich's.--Ohne eine ?ngstliche Neugierde zu verrathen.
Narbonne. Ohne sie zu haben.--Er wisse zu schweigen, und eine bescheidene Zur��ckhaltung--
Selicour (rasch). Sein Gesicht sei ein versiegelter Brief.
Narbonne. Ohne den Geheimni?kr?mer zu machen.
Selicour. So mein' ich's.
Narbonne. Er besitze einen Geist des Friedens und suche jeder gef?hrlichen Mi?helligkeit--
Selicour. M?glichst vorzubeugen.
Narbonne. Ganz recht. Er habe eine genaue Kenntni? von der Volksmenge der verschiedenen L?nder--
Selicour. Von ihrer Lage--ihren Erzeugnissen--ihrer Ein- und Ausfuhr--ihrer Handelsbilanz--
Narbonne. Ganz recht.
Selicour (im Flu? der Rede). Ihren Verfassungen--ihren B��ndnissen-- ihren Hilfsquellen--ihrer bewaffneten Macht.--
Narbonne. Zum Beispiel: angenommen also, es w?re Schweden oder Ru?land, wohin man Sie verschickte--so w��rden Sie wohl von diesen Staaten vorl?ufig die n?thige Kunde haben.
Selicour (verlegen). Ich--mu? gestehen, da?--Ich habe mich mehr mit Italien besch?ftigt. Den Norden kenn' ich weniger.
Narbonne. So! Hm!
Selicour. Aber ich bin jetzt eben daran, ihn zu studieren.
Narbonne. Von Italien also!
Selicour. Das Land der C?saren fesselte billig meine Aufmerksamkeit zuerst. Hier war die Wiege der K��nste, das Vaterland der Helden, der Schauplatz der erhabensten Tugend! Welche r��hrende Erinnerungen f��r ein Herz, das empfindet!
Narbonne. Wohl! Wohl! Aber auf unser Thema zur��ck zu kommen!
Selicour. Wie Sie befehlen! Ach, die sch?nen K��nste haben so viel Anziehendes! Es l??t sich so Vieles dabei denken!
Narbonne. Venedig ist's, was mir zun?chst einf?llt.
Selicour. Venedig!--Recht! Gerade ��ber Venedig habe ich einen Aufsa? angefangen, worin ich mich ��ber alles ausf��hrlich verbreite.-- Ich eile, ihn herzuholen.--(Steht auf.)
Narbonne. Nicht doch! Nicht doch! Eine kleine Geduld.

Zweiter Auftritt.
Vorige. Michel.
Michel. Es ist Jemand drau?en, der
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