Der Mann im Nebel - Roman | Page 8

Gustav Falke
gründlich, als sagte sie alle Gebete her, die sie wusste. Aber ihre Augen gingen dabei verstohlen von einem zum andern, und nie h?rte sie vor den Eltern zu beten auf.
Heute sass sie verlegen vor ihrem Teller.
Randers wusste warum.
"Es war sehr jungshaft von dir," dachte er. "Wie konntest du dieses G?nschen da küssen." Er sch?mte sich.
Nach Tisch lag er wieder auf der Bank unter den Buchen. Da lag er lange, erst im Halbschlaf, die Stimmen der Schulkinder h?rend und das Geklapper ihrer Holzpantoffeln. Der Lehrer klatschte in die H?nde, das Signal, womit er den Anfang der Schulstunde verkündete und die S?umigen von der Landstrasse und dem Spielplatz hinter dem Schulhause in die Klasse rief. Randers versuchte etwas zu lesen, fiel aber wieder in den dumpfen Zustand zwischen Wachen und Tr?umen zurück, bis er sich gewaltsam aufraffte und die Müdigkeit abschüttelte.
Er steckte sich eine Cigarre an und begann in sein Notizbuch zu kritzeln, Verse, die er den ganzen Morgen mit sich herumgetragen:
Umzwitschert rings von muntern Vogelscharen, Steht mir vor Augen einer Laube Blühen, Und vor dem Tische unter goldnen Haaren Seh flutentief ein Auge ich erglühen. Was trieb es mich, mit Glück und Stern zu sparen Und mich zu weihen t?richtem Bemühen? Nun schüre ich in Aschen, die vor Jahren Geglüht, und seh sie in die Winde sprühen.
Er hatte wieder die Sicilianenwut. Eine ganze Reihe von diesen Dingern hatte er in der letzten Woche hingekritzelt, mit Blei, in kaum lesbarer Schrift. Es stand alles bunt durcheinander! Einf?lle über Kunst und Literatur, Schuldenberechnungen, W?schenotizen, und allerlei gleichgültige Aufzeichnungen für den Tag. Manchmal war ein kr?ftiges Urteil quer darüber geschrieben, wie: Unsinn! Bl?dsinn! Gew?sch!
Randers hatte eigentlich Notizen für Gerd Gerdsen machen wollen an diesem Nachmittag. Aufzeichnungen aus seiner Jugendzeit. Aber er wollte es nun lieber bis morgen lassen. Es tr?umte sich so nett hier.
Vom SchülhauseSchulhauselangen abgerissene T?ne eines Kirchenliedes, helle Kinderstimmen, und ab und an der harte, heisere Bass des Lehrers.

8.
Abends kam ein Gewitter. Es war schnell heraufgezogen. Aus der alten Wetterecke hinter dem Schulhause und dem Lehreracker, wo die Wildkoppel und das Fürstenholz in einem stumpfen Winkel zusammenstiessen, kam es her, eine schwarze Wand, die sich gleichm?ssig vorschob. Eben hatte noch die Sonne hinter dem Fürstenberg ein rotes Feuer angezündet, und jetzt war alles finster. Eine unheimliche Stille. Kein Blatt rührte sich. Alles war wie verstummt und erstarrt vor Angst. Dann ein dumpfes Grollen, einmal, langhinrollend, dann Tropfen, z?gernd, schwer auffallend, gleichsam versuchsweise.
Randers lag in seinem Zimmer auf dem Sofa und sah durch das offene Fenster auf die dunkle Landstrasse. Draussen zerrte der Schullehrer seine beiden Kühe hinter sich her. Die Ketten klirrten und die schweren Holzpfl?cke schleiften über den Kies des Gartens.
Dann kam der erste Blitz und ein heller, knatternder Donner. Und die Holunderbüsche im Garten legten sich fast ganz auf die Seite und die Fensterflügel rüttelten in den Angeln und eine Tür schlug zu.
Und dann rauschte der Regen herab. War das ein Platschen und Klatschen, und Spritzen und Tropfen, von allen Zweigen, von der Dachrinne, vom Gesimse. Drüben warf der Wind die Kronen der hohen Buchen hin und her.
"Wie ein Schiff im Sturm," sagte Randers. Und er sah dieses Schiff, sah es ganz deutlich. Es war ein grosser Dampfer. Die Wellen stürzten aufs Deck. Die Masten krachten, er sah die entsetzten Passagiere, h?rte ihr Schreien. Und er sah den Kampf um die Rettungsgürtel.
Aber das alles verlor sich, verwirrte sich ihm in ein undeutliches Gewimmel. Klar sah er nur den Kapit?n auf der Brücke. Der ist blass bis unter die Mütze, die mit dem Sturmband unterm Kinn befestigt ist. Aber wie aus Erz steht der Mann da, festgeklammert mit der Eisenfaust an dem Gel?nder der Kommandobrücke. Jetzt beugt er sich nieder. Er kritzelt etwas auf ein Blatt Papier, reicht es dem Lotsen. Der winkt ihm mit heftigen, überredenden Geb?rden. Er schüttelt den Kopf, er will nicht weichen. Nicht vom Platz!
"Der Held! Der Held der!"
Randers rief es ganz laut. Er glühte vor Aufregung. K?nnte er da oben stehen. Sein Leben dafür!
Bis zum letzten Atemzuge da oben, einen letzten Gruss an Weib und Kind, und hinein in den brüllenden, sch?umenden, herrlichen Mannestod.
Randers sass aufrecht auf dem Sofa und starrte wie geistesabwesend in die Blitze und auf die sturmgepeitschten B?ume, als Mutter Petersen ins Zimmer stürzte und um Christine jammerte. Sie sei nach Sch?nfelde gegangen, um etwas vom Kr?mer zu holen. Nun sei sie gewiss bei dem Unwetter unterwegs.
"So'n G?r is ja zu dumm!"
Randers sprang auf, er wollte der Kleinen entgegen. Mutter Petersen wollte das nicht dulden.
"Nein, mein Mann soll. Aber wo is er nur? Er wird bei's Vieh sein!"
Aber Randers war schon draussen. Sie lief ihm nach, ob er denn keinen Schirm mitnehmen wolle. Aber er h?rte nicht, er lief nur immer darauf los.
Was hatte er auch da auf dem Sofa zu liegen. Warum war er nicht gleich hinausgelaufen?
Er atmete in tiefen Zügen die
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