Der Mann im Nebel - Roman | Page 4

Gustav Falke
die Aussicht auf die See, die er auf dem luftigen Sitz im Apfelbaum genoss, was ihm diese Erinnerung so wert machte?
Die Kronen der alten krumm?stigen B?ume ragten ��ber den niedrigen Deich hin��ber, und es war lustig, da oben zu sitzen und mit den Blicken den Segeln draussen zu folgen. Aber lustiger noch war es auf der alten Pappel, lustiger und h?her. Wie er das erstemal da hinauf geklettert war und so hoch ��ber der Erde, ganz den Blicken entzogen, auf die weite See hinaussah, war ihm zum ersten Mal das Gef��hl romantischer Einsamkeit mit s��ssen Schauern aufgegangen.
Wie oft hatte er da oben gesessen und sich seinen Tr?umen ��berlassen, Tr?umen, die ihn hinaustrugen auf das weite Meer, in fremde L?nder, auf einsame Inseln, durch Sturm und Gefahren.
Ja, da oben war er zu dem geworden, was er war, da oben hatte er diese Liebe zur Freiheit eingesogen, den Drang, sich abzusondern, immer in Pappelh?he ��ber der Menge. Was konnte er von da oben nicht alles ��bersehen! Den kleinen Fischerhafen, die kleine Flotte der Fischerkutter. Er kannte jedes Fahrzeug, jedes Segel. Da lag auch des alten J?nksen Boot, des alten Schweden, von dem er den ersten Schluck Branntwein bekam, und da lag, wenn er sich auf seinem hohen Sitz umdrehte, die H��tte des alten J?nksen, nur durch zwei andere H��tten vom Pastorat getrennt. Man konnte von dem hinteren Pfarrgarten ��ber die kleinen Nachbarg?rten hinweg in J?nksens Garten sehen, wo immer W?sche hing, W?sche, f��r die Randers ein besonderes Interesse hatte, denn sie war von Inge J?nksen da hingeh?ngt. Inge, die f��nfzehnj?hrige Inge J?nksen! Das war seine erste Liebe gewesen.
Ach, die Romantik dieser ersten Liebe, die ihre junge Brust dem Meerwind bot, und sich auf den Wellen schaukelte, oder klopfenden Herzens hinter dem Zaun des v?terlichen Gartens stand und hin��berlugte, wo Inges blonder Zopf schwankte und ihre braunen Arme sich hoben und senkten und grobe blaue Wollhemden, dicke graue Str��mpfe, und verwaschene Sch��rzen, alles vielfach gepflickt und gestopft, ��ber die W?scheleine klammerten.
Aber am sch?nsten war es doch, wenn sie zusammen in ihres Vaters Boot hinausfuhren und sich unter das braune Segel duckten, wenn der Alte den Kurs ?nderte und das breite Tuch klatschend herumschlug. Wie lustig das war! Wie die Inge lachen konnte! Und wobei gibt es wohl mehr zu lachen, als wenn zwei junge Menschenkinder, die sich gerne haben, gezwungen werden, schnell die K?pfe zusammenzustecken. "Achtung! Kopf weg!"
O, was konnte er Gerd Gerdsen alles von Inge und dieser sch?nen Zeit erz?hlen. Daraus konnte der allein einen rechtschaffenen Roman zimmern. Wie lebendig stand alles vor ihm, die ganze Idylle seiner gl��cklichen Jugend in dem kleinen Fischerhafen. Er wollte das festhalten f��r Gerd Gerdsen, heute nachmittag noch. Und er wollte alles unterstreichen f��r den Chronisten seines Lebens, was einen Keim trug zu seiner sp?teren Entwickelung. Die See mit ihrem Einfluss, das fromme, aber nicht strenge Leben im Elternhaus, das ungebundene Treiben mit den Dorfkindern, die Pappel; ja die vor allem! Merkw��rdig, er sah immer diese Pappel vor sich, als w?re sie der Mittelpunkt seiner ganzen Jugendzeit, der Mast, um den sich dieses ganze lustige Karussell drehte.
Und dann die Schnapsflasche des alten J?nksen. Brrr! Er erinnerte sich noch des ersten Schluckes und seiner h?llischen Wirkung. Auch diese Schnapsflasche durfte er seinem Chronisten nicht unterschlagen, sie geh?rte mit zu den "Quellen". Und darauf kam es ja an, alle Quellen bloss zu legen, aus denen sein Leben sich speiste, alle B?che und B?chlein, die zusammenflossen zu dem einen r?tselhaften Gew?sser voller Klippen und Untiefen, das sich der Charakter des Doktors der Philosophie Henning Randers nannte.
Ja, es sollte dem Freund nicht an Daten und Dokumenten fehlen. Er wollte ihm sitzen geduldig und nackt, ohne Schleier. Und dann w��rde es etwas werden, wovor jeder die Augen aufreissen w��rde, und er selbst wollte mit einer wehm��tigen Lust vor seinem Bilde stehn, und mit einer diabolischen Freude ��ber diese Selbstprostituierung.
Dieser Gedanke machte ihn mit einmal lebendig. Er steckte das Buch zu sich und ging mit dem Ausdruck eines Menschen, der in einer wichtigen Sache einen guten Entschluss gefasst hat, leicht und schnell den Waldweg hinauf. Einen Augenblick z?gerte er beim ersten J?gersteig, der in das Buschwerk abbog und dessen dunkle ?ffnung ihn so einladend ansah, aber er blieb diesmal auf dem breiten Weg, dem Holz, und Wildfuhren tiefe Furchen eingegraben hatten.
Der Weg war sonnig. Das niedre Seitenholz warf seinen Schatten um diese vorger��ckte Morgenstunde kaum einen Fuss breit. Da gab es Bienensaug und gelben L?wenzahn, und roten und weissen Klee, und M?nnertreu und wilde Stiefm��tterchen. Hin und wieder an feuchten Grabenstellen Vergissmeinnicht, in grossen Mengen bei einander. Und ��berall am Waldrand hin Farren und Feldschachtelhalm. Und ��berall Bienen und Schmetterlinge.
Um einen Brombeerstrauch, der an seinem schattigen Platz etwas zur��ckgeblieben war und fast noch ganz in Bl��te stand, gaukelte ein Schwarm Kohlweisslinge, darunter zwei himmelblaue Zwergfalter. Randers blieb stehen und sah eine Weile
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 51
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.