Der Landprediger | Page 7

Jakob Michael Reinhold Lenz
mit schwacher Stimme. "War's denn hier Zeit?"--Bei diesen Worten verhüllte sie sich in ihren Pelz, und er bekam den ganzen Weg über von ihr nichts zu sehen noch zu h?ren.
Ein Glück, da? er es so abgepa?t, da? der Schlitten des Vaters eben eine gute Viertelstunde voraus war. Er kam in der Stadt an, wie ein Verbrecher, der zum Gerichtsplatz geführt wird. Alles, was er sah und h?rte, alle Fragen, die an ihn ergingen, selbst die Freundlichkeit, mit der der Amtmann und die Seinigen ihn aufzumuntern suchten, waren lauter Folterst??e für ihn. Albertine allein war wider alle ihre Gewohnheit, wenn sie sonst nach der Stadt zu kommen pflegte, ihm heut vollkommen ?hnlich. Als sie so im Zirkel sa?en, und auf beider Gesichtern Angst, sich zu verraten, mit tausend Empfindungen k?mpfte, kam der kleine Bruder, ein rosiger Junge, von der Freude, so schien es, geboren, mit gro?em Geschrei in die Stube gerannt und rief: "Albertine! Dein Br?utigam ist da."
Albertine antwortete anfangs nicht; als er aber es zum zweitenmal wiederholte und sie fragte: "wo denn?" und er antwortete: "in deiner Kammer!" und sie aufstund und hinausging--und in dem n?mlichen Augenblick der Amtmann unserm Mannheim eine Berechnung des j?hrlichen Ertrages seiner L?ndereien vorlegte und ihn dringend um seine Meinung fragte, um wieviel sie geringer oder vorzüglicher, als die in seinem Vaterlande w?re--so überlasse ich's dem menschenfreundlichen Leser, sich den Zustand des armen Johannes zu denken.
"Ja--ja", sagte er, indem er das Blatt ansah, ohne etwas darauf zu sehen.
"Was denn?" fragte der Amtmann.
In dem Augenblick trat Albertine mit einem kleinen Buben aus der Nachbarschaft herein, den sie an der Hand führte. Mannheim sah auf und die Erholung von seiner Todesangst war so sichtbar, da? sich der Amtmann nicht entbrechen konnte, ihn zu fragen, was ihm gewesen w?re? "Nichts", stotterte er. Albertine begab sich hinweg. Mannheim mu?te um Erlaubnis bitten, sich zu entfernen. Die entgegengesetzten Bewegungen, die seine Seele in so kurzer Zeit aufeinander erfahren hatte, überw?ltigten seinen ganzen Nervenbau; er fühlte die angenehme Hoffnung in seinem Innersten, er werde diesen Abend vielleicht nicht überleben.
Der Amtmann wollte ihn nicht fortlassen. Er zwang ihn, ein Bette in seinem Hause anzunehmen; jedermann merkte bald, da? Mannheims Zerrüttung mehr als eine leichte Unp??lichkeit war.
Er verfiel wirklich in eine Krankheit, die der Arzt dem besorgten Amtmann noch gef?hrlicher abschilderte, als sie wirklich war. Der Amtmann und seine ganze Familie blieben den Tag traurig; Albertine allein nahm eine gezwungene Munterkeit an. Ihr Vater, den dies aufmerksam machte, ging den folgenden Tag verstohlner Weise auf ihr Zimmer. Er überraschte sie den Kopf in die Hand gestützt, in einem Meer von Tr?nen. "Was gibt's hier?" sagte er; "das ist ein ganz neuer Aufzug, Mademoiselle Albertine!" Sie sprang verwirrt von ihrem Stuhl auf, griff nach einem Buch, wollte Entschuldigungen suchen--"still nur!" sagte er; "ich habe wohl gesehen, da? du nicht gelesen hast. Auch kann ein Buch dich so nicht greinen machen, das la? ich mir nicht einreden." "Papa!" sagte sie und fa?te ein Herz, "tun Sie mit mir, was Sie wollen", indem sie zitternd ihm nach der Hand griff--"ich liebe den Pfarrer Mannheim." "Ei, wenn es nichts mehr als das ist", sagte der Alte, "ich liebe ihn auch. Es steht aber dahin, ob du ihm auch so wohlgef?llst, wiewohl seine Krankheit und eure beiden Affengesichter letzthin--ei, la? uns einmal einen Versuch wagen und zu ihm auf die Kammer gehen." "Nimmermehr!" sagte Albertine, "ich mu? es Ihnen nur gestehen, Papa; er hat mir letzt eine Erkl?rung getan und das ist die Ursache seiner Krankheit."
"Ei so sollst du hingehen und ihm die Gegenerkl?rung tun", sagte der Alte, indem er sie mit Nachdruck an die Hand fa?te und zu Mannheim in das Zimmer zerrte. "Ich nehm es auf mich, es bei deiner Mutter und Schwester gutzumachen. Und einen ehrlichen Mann, wie den, und einen alten Bekannten in meinem Hause sterben zu lassen--M?dchen! M?dchen! wenn du mir nicht so lieb w?rst--"
Man kann sich vorstellen, was diese letzte Worte, die er h?rte, auf den Kranken für einen Eindruck gemacht haben müssen. Eine himmlische Musik in dem Augenblick, da ihm die scheidende Seele vor die Lippen trat, k?nnte ihm nicht willkommner gewesen sein. Er mu?te sich mit Mühe halten, da? er nicht aus dem Bette und ihnen hin zu Fü?en stürzte. "Da hast du sie!" sagte der Alte mit den Worten unsers unvergleichlichen Dichters, den er seinen T?chtern allein auf dem Nachttisch erlaubte. Albertine mit niedergeschlagenen Augen und einer unabgewischten Tr?ne auf der Wange, sagte kein Wort. Er sog an ihrer Hand das Leben wieder ein, das er nicht geachtet hatte; er hing mit seinen Lippen dran, als ob ein Augenblick Unterbrechung der Augenblick seines Todes w?re. Die Bewegung ihrer Hand war wie eines Arztes, der seinen Kranken gern wieder gesund s?he; im n?chsten Augenblick wollte sie sie wegziehen, aber es schien, als ob ihr die Kraft dazu fehlte. Ihre Geschwister
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