Der Ketzer von Soana | Page 9

Gerhart Hauptmann
sogleich seine Augen umherschweifen und suchte den die vorhandenen Kultst?tten wom?glich umfassenden ��berblick.
Er nahm seine eigene Kirche mit dem daran geklebten Pfarrhaus zum Ausgangspunkt. Sie stand, wie gesagt, auf der Ebene des Dorfplatzes und ihre Au?enmauern setzten sich in steilen W?nden des Grundfelsens fort, an dem ein munterer Gebirgsbach unten vor��berrauschte. Dieser Gebirgsbach, unter dem Platz von Soana hindurchgef��hrt, trat in einem gemauerten Bogen ans Licht, wo er, freilich durch Abw?sser stark verunreinigt, Baumg?rten und blumige Wiesen w?sserte. Jenseit der Kirche, ein wenig h?her, was von hier aus nicht festzustellen war, lag auf rundem, flachen Terrassenh��gel das ?lteste Heiligtum der Umgegend, eine kleine Kapelle, der Jungfrau Maria geweiht, deren verstaubtes Kultbild auf dem Altar von einem byzantinischen Mosaik der Apsis ��berw?lbt wurde. Dieses, trotz tausendj?hrigen und h?heren Alters in Goldgrund und Zeichnung wohlerhaltene, Mosaik stellte Christus Pantokrator dar. Die Entfernung von der Hauptkirche bis zu diesem Heiligtum betrug nicht ��ber drei Steinwurfsweiten. Eine andere h��bsche Kapelle, diese der heiligen Anna geweiht, lag in der gleichen Entfernung von ihr. ��ber Soana und hinter Soana erhob sich ein ?u?erst spitzer Bergkegel, der im Umkreis nat��rlich von weiten Talr?umen und den Flanken der ��berragenden Generoso-Kette umgeben war. Dieser beinahe zuckerhutartige, aber bis oben begr��nte, scheinbar unzug?ngliche Berg hie? Sant Agatha, weil er auf seinem Gipfel zur Not ein Kapellchen eben dieser Heiligen beherbergte. Dies waren im engsten Umkreis der Ortschaft eine Kirche und drei Kapellen, der sich im weiteren Kreise der Pfarre drei oder vier andere Kapellen anreihten. Auf jedem H��gel, an jeder h��bschen Wegwende, auf jeder weithin blickenden Spitze, da und dort an malerischen Felsabst��rzen, nah und fern, ��ber Schlucht und See hatten fromme Jahrhunderte Gottesh?user angeklebt, so da? in dieser Beziehung die tiefe und allgemeine Fr?mmigkeit des Heidentums noch zu sp��ren war, die im Verlauf vergangener Jahrtausende alle diese Punkte urspr��nglich geweiht und so gegen die bedrohlichen, furchtbaren M?chte dieser wilden Natur sich g?ttliche Bundesgenossen geschaffen hatte.
Der junge Eiferer sah alle diese Anstalten r?misch-katholischen Christentums, wie sie den ganzen Kanton Tessin auszeichnen, mit Befriedigung. Freilich mu?te er sich zugleich mit dem Schmerz des echten Gottesstreiters eingestehen, da? in ihnen weder ��berall ein reger und reiner Glaube lebendig war, noch auch nur eine gen��gend liebevolle F��rsorge seiner Amtsbr��der, um alle diese verstreuten, himmlischen Wohnst?tten vor Verwahrlosung und Vergessenheit zu bewahren.
Nach einiger Zeit ward in den engen Fu?steig eingebogen, der in dreist��ndiger, m��hsamer Steigung zum Gipfel des Generoso f��hrt. Dabei mu?te sehr bald das Bett der Savaglia auf einer verfallenen Br��cke ��berschritten werden, in deren n?chster N?he das Sammelbecken des Fl��?chens war, das von da aus in seinen selbstgebildeten Erosionsspalt von hundert und mehr Meter Tiefe hinabst��rzte. Hier h?rte Francesco aus verschiedenen H?hen, Tiefen und Richtungen neben dem Rauschen des zu seinem Sammelbecken heraneilenden Wildwassers, Herdengel?ut und sah einen Mann von rauhem ?u?eren -- es war der Gemeindehirt von Soana! -- der lang auf der Erde ausgestreckt, sich mit den H?nden am Ufer st��tzend, den Kopf zum Wasserspiegel hinabgebeugt, ganz nach Art eines Tieres seinen Durst l?schte. Hinter ihm grasten einige Ziegenm��tter mit ihren Zicklein, w?hrend ein Wolfshund mit gespitztem Ohr auf Befehle wartete und des Augenblicks, wo sein Meister und Herr mit Trinken fertig war. ?Auch ich bin ein Hirte,? dachte Francesco, und als jener sich von der Erde erhob und mit schneidendem Pfiff durch die Finger, der an den Felsw?nden widerhallte und mit weit ausholenden Steinw��rfen seine ��berallhin verstreuten Tiere bald zu schrecken, bald weiter zu treiben, bald zur��ckzurufen und ��berhaupt vor der Gefahr des Absturzes zu bewahren suchte, dachte Francesco, wie dies schon bei Tieren, geschweige bei Menschen, die der Versuchung des Satans allezeit preisgegeben waren, eine m��hevolle und verantwortungsschwere Arbeit sei.
* * * * *
Mit doppeltem Eifer begann nun der Priester weiter zu steigen, nicht anders, als wenn zu f��rchten gewesen w?re, der Teufel k?nne auf diesem Wege zu den verirrten Schafen wom?glich der Schnellere sein. Als er, immer von seinem Begleiter gef��hrt, den Francesco einer Unterhaltung nicht w��rdigte, eine Stunde und l?nger steil und beschwerlich gestiegen war, immer h?her und h?her in die Felswildnis des Generoso hinein, hatte er pl?tzlich die Alpe von Santa Croce auf f��nfzig Schritt vor Augen liegen.
Er wollte nicht glauben, da? jener Steinhaufen und das inmitten davon befindliche, ohne M?rtel aus flachen Steintafeln geschichtete Mauerwerk, wie ihn der F��hrer versichert hatte, das gesuchte Anwesen sei. Was er erwartet hatte, war, nach dem Reden des Sindaco, eine gewisse Wohlhabenheit, wogegen diese Behausung h?chstens als eine Art Unterschlupf f��r Schafe und Ziegen bei pl?tzlichem Unwetter gelten konnte. Da es auf einer steilen Halde von Gesteinschutt und kantigen Felsbl?cken lag und der Pfad dahin in seinem Zickzacklaufe verborgen war, schien der verfluchte Ort ohne Zug?nge. Erst nachdem der junge Priester sein Befremden und einen gewissen Schauder, der sich meldete, ��berwunden hatte und n?her gedrungen war, gestaltete sich das Bild der verfemten und gemiedenen Wohnst?tte etwas freundlicher.
Ja, die
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 41
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.