Der Ketzer von Soana | Page 5

Gerhart Hauptmann
Verlauf von vier bis sechs Wochen, auf seine Art, die erst ein wenig widerspenstigen Weiber und T?chter des Orts ebenfalls, und zwar noch mehr als der andere, in seine Gewalt gebracht.
Sobald Francesco durch die kleine Pforte des an die Kirche geschmiegten Pfarrh?fchens auf die Stra?e trat, ward er auch meist schon von Kindern und Weibern umdr?ngt, die ihm mit wahrer Ehrfurcht die Hand k��?ten. Und wie viele Male des Tags er durch die kleine Kirchenschelle in den Beichtstuhl gerufen wurde, das machte am Abend eine Zahl, die seiner neuangenommenen, beinahe siebzigj?hrigen Haush?lterin den Ruf entlockte: sie habe nie gewu?t, wieviele Engel in dem sonst ziemlich verderbten Soana verborgen gewesen w?ren. Kurz, der Ruf des jungen Pfarrers Francesco erscholl auch in der Umgegend weit und breit, und er kam sehr bald in den Ruf eines Heiligen.
Von alledem lie? sich Francesco nicht anfechten und war weit davon entfernt, irgendein anderes Bewu?tsein in sich zu pflegen, als da? er seinen Pflichten leidlich gerecht wurde. Er las seine Messen, vollzog mit nie vermindertem Eifer alle kirchlichen Funktionen des Gottesdiensts und -- das kleine Schulzimmer befand sich im Pfarrhause -- versah auch ��berdies die Obliegenheiten des weltlichen Schulunterrichts.
* * * * *
Eines Abends, zu Anfang des Monats M?rz, wurde sehr heftig an der Klingel des Pfarrh?fchens gerissen, und als die Schaffnerin ?ffnen kam und mit dem Licht der Laterne in das schlechte Wetter hinausleuchtete, stand vor der T��r ein etwas verwilderter Kerl, der den Pfarrer zu sprechen w��nschte. Nachdem die Schaffnerin erst die Pforte wieder geschlossen hatte, begab sich die alte Person zu ihrem jungen Gebieter hinein, um, nicht ohne merkbare ?ngstlichkeit, den sp?ten Besucher anzumelden. Allein Francesco, der es sich unter anderem zur Pflicht gemacht hatte, niemand, wer es auch sei, der seiner bed��rfe, abzuweisen, sagte nur kurz, von der Lekt��re irgendeines Kirchenvaters aufblickend: ?Geh', Petronilla, f��hr ihn herein.?
Bald darauf stand vor dem Tische des Pfarrers ein etwa vierzigj?hriger Mann, dessen ?u?eres das der Landleute jener Gegend war, nur weit vernachl?ssigter, ja, verwahrloster. Der Mann ging barfu?. Eine zerlumpte, regendurchn??te Hose war ��ber den H��ften von einem Riemen festgehalten. Das Hemd stand offen. Die braune, behaarte Brust setzte sich in eine buschige Kehle und in ein von Bart- und Haupthaar schwarz und dicht umwuchertes Antlitz fort, aus dem zwei dunkel gl��hende Augen hervorbrannten.
Eine aus Flicken bestehende, vom Regen durchn??te Jacke hatte der Mensch nach Hirtenart ��ber die linke Schulter geh?ngt, w?hrend er einen von Wind und Wetter vieler Jahre entf?rbten und zusammengeschrumpften, kleinen Filz, aufgeregt, mit den braunen und harten F?usten herumdrehte. Einen langen Kn��ttel hatte er vor dem Eingang abgestellt.
Gefragt, was er w��nschte, brachte der Mann unter wilden Grimassen einen unverst?ndlichen Schwall rauher Laute und Worte hervor, die zwar der Mundart jener Gegend angeh?rten, aber wiederum einer Abart davon, die selbst der in Soana geborenen Schaffnerin wie eine fremde Sprache erschien.
Der junge Priester, der seinen Besuch neben der kleinen, brennenden Lampe hin mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, bem��hte sich vergeblich, den Sinn seines Anliegens zu ergr��nden. Mit viel Geduld, mittels zahlreicher Fragen, konnte er endlich soviel aus ihm herausbringen, da? er Vater von sieben Kindern war, von denen er einige gern in der Schule des jungen Priesters angebracht h?tte. Francesco fragte: ?Wo seid Ihr her?? Und als die Antwort, hervorgesprudelt: ?Ich bin aus Soana? lautete, erstaunte der Priester und sagte zugleich: ?Das ist nicht m?glich! ich kenne jedermann hier am Ort! aber Euch und Eure Familie kenne ich nicht.?
Der Hirte, Bauer oder was er nun sein mochte, gab nun von der Lage seines Wohnhauses eine von vielen Gesten begleitete, leidenschaftliche Schilderung, aus der jedoch Francesco nicht klug wurde. Er meinte nur: ?Wenn Ihr Einwohner von Soana seid, und Eure Kinder das gesetzliche Alter erreicht haben, so m��?ten sie doch ohnedies schon l?ngst in meiner Schule gewesen sein. Und ich m��?te doch Euch oder Eure Frau oder Eure Kinder beim Gottesdienst in der Kirche, bei Messe oder Beichte, gesehen haben.?
Hier ri? der Mann seine Augen auf und pre?te die Lippen aufeinander. Statt jeder Antwort stie? er, wie aus emp?rter und gepre?ter Brust, den Atem aus.
?Nun so werde ich mir Euren Namen aufschreiben. Ich finde es brav von Euch, da? Ihr selber kommt und Schritte tut, damit Eure Kinder nicht unwissend und wom?glich gottlos bleiben.? Bei diesen Worten des jungen Klerikers fing der zerlumpte Mensch, so da? sein brauner, sehniger und beinahe athletischer K?rper davon gesch��ttelt wurde, auf eine sonderbare, beinahe tierische Art und Weise zu r?cheln an. -- ?Jawohl,? wiederholte betreten Francesco, ?ich zeichne mir Euren Namen auf und werde der Sache wegen nachforschen.? Man konnte sehen, wie Tr?ne um Tr?ne von den ger?teten Augenr?ndern des Unbekannten ��ber das struppige Antlitz herniederrann.
?Gut, gut,? sagte Francesco, der sich das aufgeregte Wesen seines Besuchers nicht erkl?ren konnte und ��brigens davon nochmehr beunruhigt, als ergriffen war -- ?gut, gut, Eure Sache wird untersucht werden. Nennt mir nur Euren
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