Der Hofmeister | Page 8

Jacob Michael Reinhold Lenz

seiner Schulkamraden herausgehoben, und in der Meinung gestärkt
werden, er sey eine bessere Kreatur als andere.
Pastor. Ich habe nicht Zeit, (zieht die Uhr heraus) mich in den Disput
weiter mit Ihnen einzulassen, gnädiger Herr; aber so viel weiß ich, daß
der Adel überall nicht ihrer Meinung seyn wird.
Geh. Rath. So sollten die Bürger meiner Meynung seyn.--Die Noth
würde den Adel schon auf andere Gedanken bringen, und wir könnten
uns bessere Zeiten versprechen. Sapperment, was kann aus unserm
Adel werden, wenn ein einziger Mensch das Faktotum bey dem Kinde
seyn soll, ich setz' auch den unmöglichen Fall, daß er ein Polyhistor
wäre, wo will der eine Mann Feuer und Muth und Thätigkeit
hernehmen, wenn er alle seine Kräfte auf einen Schaafskopf
concentriren soll, besonders wenn Vater und Mutter sich kreutz und die
quer immer mit in die Erziehung mengen, und dem Faß, in welches er
füllt, den Boden immer wieder ausschlagen?
Pastor. Ich bin um zehn Uhr zu einem Kranken bestellt. Sie werden mir
verzeihen.--(Im Abgehen wendt er sich um) Aber wär's nicht möglich,
gnädiger Herr, daß Sie Ihren zweyten Sohn nur auf ein halb Jährchen
zum Herrn Major in die Kost thäten? Mein Sohn will gern mit achtzig
Dukaten zufrieden seyn, aber mit sechzigen, die ihm der Herr Bruder
geben wollen, da kann er nicht von subsistiren.
Geh. Rath. Laß ihn quittiren.--Ich thu es nicht, Herr Pastor! Davon bin
ich nicht abzubringen. Ich will Ihrem Herrn Sohn die dreyßig Dukaten
lieber schenken; aber meinem Sohn geb ich zu keinem Hofmeister.
(Der Pastor hält ihm einen Brief hin) Was soll ich damit? Es ist alles
umsonst, sag ich Ihnen.

Pastor. Lesen Sie--Lesen Sie nur.--
Geh. Rath. Je nun, ihm ist nicht--(liest)--wenden Sie doch alles an, den
Herrn geheimen Rath dahin zu vermögen, --Sie können Sich nicht
vorstellen, wie elend es mir hier geht; nichts wird mir gehalten, was mir
ist versprochen worden. Ich speise nur mit der Herrschaft, wenn keine
Fremde da sind,--das ärgste ist, daß ich gar nicht von hier komme und
in einem ganzen Jahr meinen Fuß nicht aus Heidelbrunn habe
setzen--man hatte mir ein Pferd versprochen, alle Vierteljahr einmal
nach Königsberg zu reisen, als ich es foderte, fragte mich die gnädige
Frau, ob ich nicht lieber zum Carneval nach Venedig wollte.--(wirft
den Brief an die Erde.) Je nun, laß ihn quittiren; warum ist er ein Narr
und bleibt da?
Pastor. Ja das ist eben die Sache. (hebt den Brief auf) Belieben Sie doch
nur auszulesen.
Geh. Rath. Was ist da zu lesen?--(liest) Dem ohngeachtet kann ich dies
Haus nicht verlassen, und sollt' es mich Leben und Gesundheit kosten.
So viel darf ich Ihnen sagen, daß die Aussichten in eine selige Zukunft
mir alle die Mühseligkeiten meines gegenwärtigen Standes-- Ja, das
sind vielleicht Aussichten in die selige Ewigkeit, sonst weiß ich keine
Aussichten, die mein Bruder ihm eröfnen könnte. Er betrügt sich,
glauben Sie mirs; schreiben Sie ihm zurück, daß er ein Thor ist.
Dreyßig Dukaten will ich ihm dies Jahr aus meinem Beutel Zulage
geben, aber ihn auch zugleich gebeten haben, mich mit allen fernern
Anwerbungen um meinen Karl zu verschonen: denn ihm zu Gefallen
werd' ich mein Kind nicht verwahrlosen.
Zweyte Scene.
In Heidelbrunn. Gustchen. Läuffer.
Gustchen. Was fehlt ihnen dann?
Läuffer. Wie stehts mit meinem Porträt? Nicht wahr, Sie haben nicht
dran gedacht? Wenn ich auch so saumselig gewesen wäre--Häte ich das
gewußt: ich hätt Ihren Brief so lang zurückgehalten, aber ich war ein

Narr.
Gustchen. Ha ha ha. Lieber Herr Hofmeister! Ich habe wahrhaftig noch
nicht Zeit gehabt.
Läuffer. Grausame!
Gustchen. Aber was fehlt Ihnen denn? Sagen Sie mir doch! So
tiefsinnig sind Sie ja noch nie gewesen. Die Augen stehn Ihnen ja
immer voll Wasser: ich habe gemerkt, Sie essen nichts.
Läuffer. Haben Sie? In der That? Sie sind ein rechtes Muster des
Mitleidens.
Gustchen. O Herr Hofmeister--
Läuffer. Wollen Sie heut Nachmittag Zeichenstunde halten?
Gustchen. (faßt ihn an die Hand) Liebster Herr Hofmeister! verzeihen
Sie, daß ich sie gestern aussetzte. Es war mir wahrhaftig unmöglich zu
zeichnen; ich hatte den Schnuppen auf eine erstaunende Art.
Läuffer. So werden Sie ihn wohl heute noch haben. Ich denke, wir
hören ganz auf zu zeichnen. Es macht Ihnen kein Vergnügen länger.
Gustchen. (halbweinend) Wie können Sie das sagen, Herr Läuffer? Es
ist das einzige, was ich mit Lust thue.
Läuffer. Oder Sie versparen es bis auf den Winter in die Stadt und
nehmen einen Zeichenmeister. Ueberhaupt werd ich Ihren Herrn Vater
bitten, den Gegenstand Ihres Abscheues, Ihres Hasses, Ihrer ganzen
Grausamkeit von Ihnen zu entfernen. Ich sehe doch, daß es Ihnen auf
die Länge unausstehlich wird, von mir Unterricht anzunehmen.
Gustchen. Herr Läuffer--
Läuffer. Lassen Sie mich--Ich muß sehen, wie ich das elende Leben zu
Ende bringe, weil mir doch der Tod verboten ist--

Gustchen. Herr Läuffer--
Läuffer. Sie foltern mich.--(reißt sich loß und geht ab.)
Gustchen.
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