Der Hofmeister | Page 6

Jacob Michael Reinhold Lenz
in meiner Gegenwart.--Die
Kutsche ist angespannt, der Major treibt fort; die Schwägerin hat schon
Caffee getrunken.--Nehmt Abschied: Ihr braucht Euch vor mir nicht zu
scheuen. Geschwind, umarmt Euch. (Fritz und Gustchen umarmen sich
zitternd) Und nun mein Tochter Gustchen, weil Du doch das Wort so
gern hörst, (hebt sie auf und küßt sie) Leb tausendmal wohl, und
begegne Deiner Mutter mit Ehrfurcht; sie mag Dir sagen was sie
will.--Jetzt geh, mach!--(Gustchen geht einige Schritte, sieht sich um;
Fritz fliegt ihr weinend an den Hals.) Die beyden Narren brechen mir
das Herz! Wenn doch der Major vernünftiger werden wollte, oder seine
Frau weniger herrschsüchtig!--

Zweyter Akt.
Erste Scene.
Pastor Läuffer. Der geheime Rath.
Geh. Rath. Ich bedaure ihn--und Sie noch Vielmehr, Herr Pastor, daß
Sie solchen Sohn haben.
Pastor. Verzeihen Euer Gnaden, ich kann mich über meinen Sohn nicht

beschweren; er ist ein sittsamer und geschickter Mensch, die ganze
Welt und Dero Herr Bruder und Frau Schwägerin selbst werden ihm
das eingestehen müssen.
Geh. Rath. Ich sprech' ihm das all nicht ab, aber er ist ein Thor, und hat
alle sein Mißvergnügen sich selber zu danken. Er sollte den Sternen
danken, daß meinem Bruder das Geld, das er für den Hofmeister zahlt,
einmal anfängt zu lieb zu werden.
Pastor. Aber bedenken Sie doch: nichts mehr als hundert Dukaten;
hundert arme Dukätchen; und dreihundert hatt' er ihm doch im ersten
Jahr versprochen: aber beym Schluß desselben nur hundert und vierzig
ausgezahlt, jetzt beym Beschluß des zweyten, da doch die Arbeit
meines Sohnes immer zunimmt, zahlt' er ihm hundert, und nun beym
Anfang des dritten wird ihm auch das zu viel.--Das ist wider alle
Billigkeit! Verzeihn Sie mir.
Geh. Rath. Laß es doch.--Das hätt' ich Euch Leuten voraussagen wollen,
und doch solle Ihr Sohn Gott danken, wenn ihn nur der Major beym
Kopf nähm' und aus dem Hause würfe. Was soll er da, sagen Sie mir
Herr? Wollen Sie ein Vater für ihr Kind seyn und schliessen so Augen,
Mund und Ohren für seine ganze Glückseligkeit zu? Tagdieben, und
sich Geld dafür bezahlen lassen? Die edelsten Stunden des Tages bey
einem jungen Herrn versitzen, der nichts lernen mag und mit dem er's
doch nicht verderben darf, und die übrigen Stunden, die der Erhaltung
seines Lebens, den Speisen und dem Schlaf geheiligt sind, an einer
Sklavenkette verseufzen; an den Winken der gnädigen Frau hängen,
und sich in die Falten des gnädigen Herrn hineinstudiren; essen wenn
er satt ist und fasten, wenn er hungrig ist, Punsch trinken, wenn er
p–ss–n möchte, und Karten spielen, wenn er das Lauffen hat. Ohne
Freyheit geht das Leben bergab rückwärts, Freyheit ist das Element des
Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch der sich der
Freyheit begiebt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt
seine süssesten Freuden des Lebens in der Blüthe und ermordet sich
selbst.
Pastor. Aber--Oh! erlauben Sie mir; das muß sich ja jeder Hofmeister
gefallen lassen; man kann nicht immer seinen Willen haben, und das

läßt sich mein Sohn auch gern gefallen, nur--
Geh. Rath. Desto schlimmer, wenn er sichs gefallen läßt, desto
schlimmer; er hat den Vorrechten eines Menschen entsagt, der nach
seinen Grundsätzen muß leben können, sonst bleibt er kein Mensch.
Mögen die Elenden, die ihre Ideen nicht zu höherer Glückseligkeit zu
erheben wissen, als zu essen und zu trinken, mögen die sich im Keficht
zu Tode füttern lassen, aber ein Gelehrter, ein Mensch, der den Adel
seiner Seele fühlt, der den Tod nicht so scheuen sollt' als eine Handlung,
die wider seine Grundsätze läuft...
Pastor. Aber was ist zu machen in der Welt? Was wollte mein Sohn
anfangen, wenn Dero Herr Bruder ihm die Condition aufsagten?
Geh. Rath. Laßt den Burschen was lernen, daß er dem Staat nützen
kann. Potz hundert Herr Pastor, Sie haben ihn doch nicht zum
Bedienten aufgezogen, und was ist er anders als Bedienter, wenn er
seine Freyheit einer Privatperson für einige Handvoll Dukaten verkauft?
Sklav' ist er, über den die Herrschaft unumschränkte Gewalt hat, nur
daß er so viel auf der Akademie gelernt haben muß, ihren
unbesonnenen Anmuthungen von weitem zuvorzukommen und so
einen Firniß über seine Dienstbarkeit zu streichen: daß heißt denn ein
feiner artiger Mensch, ein unvergleichlicher Mensch; ein
unvergleichlicher Schurke, der, statt seine Kräfte und seinen Verstand
dem allgemeinen Besten aufzuopfern, damit die Rasereyen einer
dampfigten Dame und eines abgedämpften Officiers unterstützt, die
denn täglich weiter um sich fressen wie ein Krebsschaden und zuletzt
unheilbar werden. Und was ist der ganze Gewinnst am Ende? Alle
Mittag Braten und alle Abend Punsch, und eine grosse Portion Galle,
die ihm Tags über ins Maul gestiegen, Abends, wenn er zu Bett liegt,
hinabgeschluckt, wie Pillen; das macht gesundes Blut, auf meine Ehr'!
und muß auch ein vortrefliches Herz auf die Länge geben. Ihr beklagt
Euch so viel übern Adel und über seinen Stolz, die Leute sähn
Hofmeister
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