Der Heizer | Page 9

Franz Kafka
allem zu fürchten hatte? Hatte er, der sicher schon
lange hinter der Tür gestanden war, nicht erst in dem Augenblick
geklopft, als er infolge der nebensächlichen Frage jenes Herrn hoffen
durfte, der Heizer sei erledigt?
Alles war klar und wurde ja auch von Schubal wider Willen so
dargeboten, aber den Herren mußte man es anders, noch
handgreiflicher zeigen. Sie brauchten Aufrüttelung. Also Karl, rasch,
nütze jetzt wenigstens die Zeit aus, ehe die Zeugen auftreten und alles
überschwemmen!
Eben aber winkte der Kapitän dem Schubal ab, der daraufhin sofort --
denn seine Angelegenheit schien für ein Weilchen aufgeschoben zu
sein -- beiseite trat und mit dem Diener, der sich ihm gleich
angeschlossen hatte, eine leise Unterhaltung begann, bei der es an
Seitenblicken nach dem Heizer und Karl sowie an den überzeugtesten
Handbewegungen nicht fehlte. Schubal schien so seine nächste große
Rede einzuüben.

»Wollten Sie nicht den jungen Menschen etwas fragen, Herr Jakob?«
sagte der Kapitän unter allgemeiner Stille zu dem Herrn mit dem
Bambusstöckchen.
»Allerdings,« sagte dieser, mit einer kleinen Neigung für die
Aufmerksamkeit dankend. Und fragte dann Karl nochmals: »Wie
heißen Sie eigentlich?«
Karl, welcher glaubte, es sei im Interesse der großen Hauptsache
gelegen, wenn dieser Zwischenfall des hartnäckigen Fragers bald
erledigt würde, antwortete kurz, ohne, wie es seine Gewohnheit war,
durch Vorweisung des Passes sich vorzustellen, den er erst hätte suchen
müssen: »Karl Roßmann«.
»Aber,« sagte der mit Jakob Angesprochene und trat zuerst fast
ungläubig lächelnd zurück. Auch der Kapitän, der Oberkassier, der
Schiffsoffizier, ja sogar der Diener zeigten deutlich ein übermäßiges
Erstaunen wegen Karls Namen. Nur die Herren von der Hafenbehörde
und Schubal verhielten sich gleichgültig.
»Aber,« wiederholte Herr Jakob und trat mit etwas steifen Schritten auf
Karl zu, »dann bin ich ja dein Onkel Jakob und du bist mein lieber
Neffe. Ahnte ich es doch die ganze Zeit über!« sagte er zum Kapitän
hin, ehe er Karl umarmte und küßte, der alles stumm geschehen ließ.
»Wie heißen Sie?« fragte Karl, nachdem er sich losgelassen fühlte,
zwar sehr höflich, aber gänzlich ungerührt, und strengte sich an, die
Folgen abzusehen, welche dieses neue Ereignis für den Heizer haben
dürfte. Vorläufig deutete nichts darauf hin, daß Schubal aus dieser
Sache Nutzen ziehen könnte.
»Begreifen Sie doch, junger Mann, Ihr Glück,« sagte der Kapitän, der
durch Karls Frage die Würde der Person des Herrn Jakob verletzt
glaubte, der sich zum Fenster gestellt hatte, offenbar, um sein
aufgeregtes Gesicht, das er überdies mit einem Taschentuch betupfte,
den andern nicht zeigen zu müssen. »Es ist der Senator Edward Jakob,
der sich Ihnen als Ihr Onkel zu erkennen gegeben hat. Es erwartet Sie
nunmehr, doch wohl ganz gegen Ihre bisherigen Erwartungen, eine

glänzende Laufbahn. Versuchen Sie das einzusehen, so gut es im ersten
Augenblick geht, und fassen Sie sich!«
»Ich habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika,« sagte Karl zum
Kapitän gewendet, »aber wenn ich recht verstanden habe, ist Jakob
bloß der Zuname des Herrn Senators.«
»So ist es,« sagte der Kapitän erwartungsvoll.
»Nun, mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner Mutter ist, heißt
aber mit dem Taufnamen Jakob, während sein Zuname natürlich gleich
jenem meiner Mutter lauten müßte, welche eine geborene Bendelmayer
ist.«
»Meine Herren!« rief der Senator, der von seinem Erholungsposten
beim Fenster munter zurückkehrte, mit Bezug auf Karls Erklärung aus.
Alle, mit Ausnahme der Hafenbeamten, brachen in Lachen aus, manche
wie in Rührung, manche undurchdringlich.
»So lächerlich war das, was ich gesagt habe, doch keineswegs,« dachte
Karl.
»Meine Herren,« wiederholte der Senator, »Sie nehmen gegen meinen
und gegen Ihren Willen an einer kleinen Familienszene teil und ich
kann deshalb nicht umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da, wie ich
glaube, nur der Herr Kapitän« -- diese Erwähnung hatte eine
gegenseitige Verbeugung zur Folge -- »vollständig unterrichtet ist.«
»Jetzt muß ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben,« sagte sich Karl
und freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, daß in die
Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
»Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen
Aufenthaltes -- das Wort Aufenthalt paßt hier allerdings schlecht für
den amerikanischen Bürger, der ich mit ganzer Seele bin -- seit allen
den langen Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten
vollständig abgetrennt, aus Gründen, die erstens nicht hierher gehören,
und die zweitens zu erzählen, mich wirklich zu sehr hernehmen würde.

Ich fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich vielleicht
gezwungen sein werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei
sich leider ein offenes Wort über seine Eltern und ihren Anhang nicht
vermeiden lassen wird.«
»Es ist mein Onkel, kein Zweifel,« sagte sich Karl und lauschte,
»wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen.«
»Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern -- sagen wir nur das Wort,
das die Sache auch wirklich bezeichnet -- einfach beiseitegeschafft
worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich will
durchaus nicht beschönigen, was mein
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