Der Fall Deruga | Page 4

Ricarda Huch
sagte =Dr.= Zeunemann scharf.
?Der umgekehrte Weg ist f��nfundzwanzig Pfennige billiger,? beharrte Deruga.
?Lassen wir den Wortstreit,? sagte =Dr.= Zeunemann. ?Man wirft auch einunddrei?ig Mark und f��nfundsiebzig Pfennige nicht fort, wenn man in Geldverlegenheiten ist.?
?Ein verst?ndiger Deutscher wohl nicht,? entgegnete Deruga, ?aber ich habe gr??ere Dummheiten in meinem Leben gemacht als diese. ��brigens war ich nicht in Geldverlegenheit, ich hatte nur Schulden.?
Der Staatsanwalt rang die H?nde und wendete die Blicke nach oben, wie wenn er den Himmel zum Zeugen einer solchen Verwilderung anrufen wollte. Dann bat er um das Wort und fragte, wie es zugehe, da? der Angeklagte genug Geld f��r eine so unvorhergesehene Reise bei sich gehabt h?tte.
Statt der Antwort griff Deruga in seine Westentasche, zog eine Handvoll Geld hervor und z?hlte: ?Sechzig, dreiundsechzig, siebzig, vierundsiebzig Mark. Sie sehen, ich k?nnte auf der Stelle nach Prag reisen, wenn ich es nicht vorz?ge, in Ihrer angenehmen Vaterstadt zu bleiben.?
?Warum bezahlten Sie Ihre Schulden nicht, wenn Sie Geld hatten?? rief der Staatsanwalt, dessen Stimme, wenn er sich aufregte, einen kreischenden Ton annahm.
?O, dazu reichte es bei weitem nicht,? lachte Deruga. ?Ich hatte nur so viel, um meine t?glichen Bed��rfnisse zu befriedigen.?
Der Vorsitzende erkl?rte diese Zwischenfragen durch eine Handbewegung f��r beendet. ?Sie bleiben also dabei, Angeklagter,? fragte er, ?da? Sie zum Schein eine Fahrkarte nach M��nchen l?sten. Was brachte Sie gerade auf M��nchen??
?Das ist eine schwierige Frage,? sagte Deruga. ?H?tte ich eine Karte nach Frankfurt oder Wien genommen, k?nnten Sie sie ebensogut stellen. Vielleicht ist ein Psychoanalytiker anwesend und k?nnte uns interessante Aufschl��sse ��ber die Gedankenassoziation geben, und ob sie gef��hlsbetont war oder nicht. Meine Spezialit?t sind Nasen-, Hals- und Rachenkrankheiten.?
?Was taten Sie, nachdem Sie die Karte gel?st hatten?? fragte der Vorsitzende weiter.
?Ich stellte mich an die Barriere,? erz?hlte Deruga, ?ging, als sie ge?ffnet wurde, an den Zug, stieg aber nicht ein, sondern ging mittels einer vorher gel?sten Perronkarte zur��ck. Dann suchte ich die schon ?fters genannte Dame auf, bei der ich bis zum Nachmittag des 3. Oktober blieb.?
?Die Unwahrscheinlichkeiten h?ufen sich,? sagte =Dr.= Zeunemann. ?Welcher Arzt wird ohne zwingende Gr��nde anderthalb Tage von seiner Praxis wegbleiben??
?Ich bin der Ansicht,? sagte Deruga, ?da? nicht ich f��r die Praxis da bin, sondern da? die Praxis f��r mich da ist.?
?Ein bedenklicher Grundsatz f��r einen Arzt,? meinte =Dr.= Zeunemann.
?Warum?? antwortete Deruga leichthin. ?Die meisten Patienten k?nnen sehr gut ein paar Tage warten, die ��brigen brauchten ��berhaupt nicht zu kommen. Wichtige F?lle hatte ich damals nicht.?
?Ihre Patienten waren allerdings nicht verw?hnt,? sagte =Dr.= Zeunemann. ?In den letzten Jahren hatten Sie sogar eine Anzahl verloren, weil sie nachl?ssig und unaufmerksam in der F��hrung Ihrer Praxis waren. Immerhin war es selbst an Ihnen auffallend, da? Sie au?er der Zeit, ohne Abmeldung, zwei Tage abwesend waren. Sie kamen nach Ihrer eigenen Aussage, die von Ihrer Haush?lterin best?tigt wurde, am 3. Oktober kurz vor vier Uhr wieder in Ihrer Wohnung an. Beil?ufig sei bemerkt, da? der von hier kommende Schnellzug um drei Uhr zwanzig Minuten in Prag eintrifft. Ihre Sprechstunde war noch nicht vor��ber, und es warteten zwei geduldige Patienten, die sich von Ihrer Hausdame mit der Aussicht auf Ihr baldiges Erscheinen hatten vertr?sten lassen. Sie weigerten sich aber, diese gutm��tigen Herrschaften, die einiger R��cksicht wohl wert gewesen w?ren, anzunehmen, weil Sie, so sagten Sie zu Ihrer Haush?lterin, m��de w?ren und sich zu Bett legen wollten. Ihr Aufenthalt bei der in ihrer Tugend so heiklen Dame mu? also sehr anstrengend gewesen sein.?
?Ich finde Frauen immer anstrengend,? sagte Deruga, ?besonders wenn sie dumm sind.?
?Nehmen wir also an,? sagte der Vorsitzende, w?hrend der Staatsanwalt die H?nde rang und seine unter diabolisch geschw?nzten Brauen fast verschwindenden Augen zum Himmel richtete, ?da? die Ihnen befreundete Dame ebenso dumm wie tugendhaft ist! Gehen wir nun zu einem anderen wichtigen Punkt ��ber! Wollen Sie erz?hlen, wann und wie Sie von dem Inhalt des Testamentes in Kenntnis gesetzt wurden, durch welches die verstorbene Frau Swieter Sie zum Erben ihres Verm?gens einsetzte!?
?Anfang November,? sagte Deruga, ?das Datum habe ich mir nicht gemerkt, durch die zust?ndige Beh?rde.?
?Sie sollen?, sagte =Dr.= Zeunemann, ?Ihr Erstaunen und Ihre Freude lebhaft ge?u?ert haben. Ich bemerke,? wiederholte er mit Nachdruck gegen die Geschworenen, ?da? andere Personen dies bezeugen: Erstaunen und Freude.?
?O, edler Richter, wack'rer Mann,? sagte Deruga l?chelnd.
?Bitte Zwischenbemerkungen zu unterlassen,? sagte der Vorsitzende. ?Es ist bereits halb zw?lf Uhr, und ich m?chte bis zur Mittagspause mit Ihrem Verh?r zu einem vorl?ufigen Ende kommen. Erz?hlen Sie uns bitte, wann und wie Ihnen zuerst etwas von dem gegen Sie erhobenen Verdacht zu Ohren kam!?
?Durch einen sehr anst?ndigen Menschen,? begann Deruga, ?sehr anst?ndig und achtungswert, obgleich er nur ein roher italienischer Weinh?ndler ist. Der Mann hei?t Tommaso Verzielli und kam vor f��nfzehn Jahren als ein armer Teufel zu mir, nachdem er eine f��nfj?hrige Gef?ngnisstrafe verb��?t hatte. Er hatte n?mlich einen Polizisten niedergestochen, der eine arme alte Frau verhaften wollte, weil sie in einem B?ckerladen ein Brot genommen hatte.
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