Der Englaender | Page 3

Jacob Michael Reinhold Lenz
daß sie nicht von zu traurigen Folgen für Sie würde. Sie werden
nicht sterben. Stehen Sie auf. (als ob sie ihn aufrichte.)
ROBERT. (bleibt kniend.) Nicht sterben? Und das nennen Sie Gnade!
--Oft ist das Leben ein Tod, Prinzessin, und der Tod ein besseres
Leben.
PRINZESSIN. Das Leben ist das hÖchste Gut, das wir besitzen.
ROBERT. Freilich hört mit dem Tod alles auf, aber im höchsten Genuß
aufhören heißt tausendfach genießen. Gönnen Sie mir dieses Glück,
Prinzessin, (ihr einen Dolch reichend, der auf einem Sessel liegt,)
lassen Sie mich den Tod aus diesen Händen nehmen, von denen er mir

allein Wohltat ist. Ich will meinen entfliehenden Atem in diese Hände
zurückgeben, die ihn schon lange gefesselt hatten, die zu berühren,
meine scheidende Seele schon tausendmal auf meinen Lippen
geschwebt ist.
PRINZESSIN. (setzt sich.) Mein Freund!--(knöpft sich ein Armband
ab.) Hier haben Sie etwas, das Ihnen das Leben angenehmer machen
soll; nehmen Sie es mit in Ihre Gefangenschaft, versüßen Sie sich die
Einsamkeit damit; und bilden Sie sich ein, daß das Urbild von diesem
Gemälde vielleicht nicht so fühllos bei Ihren Leiden würde gewesen
sein, als es dieser ungetreue Schatten von ihm sein wird. (gibt ihm das
Portrait, und eilt jählings ab.)
ROBERT. (in die Knie sinkend, das Bild am Gesicht.) Ach, nun
Ewigkeiten zu leben!--mit diesem Bilde!--Wesen! wenn eins da ist,
furchtbarstes aller Wesen! könntest du so grausam gegen einen
handhohen Sterblichen sein, und mir dies im Tode nehmen--Wenn ein
Leben nach dem Tode wäre--dies ist das erstemal, daß mich der
Gedanke bei den Haaren faßt, und in einen grauenvollen Abgrund
hinabschüttelt--Ein Leben nach dem Tode, und ohne sie--Nein, sie
wußte, was sie mir brachte, Leben und ihr Bild. Es ist ihr daran gelegen,
daß ich sie nicht aus diesem Herzen verliere, und wenn ich verginge,
verging ein Teil ihres Glücks mit. Ich will also die Begnadigung um
ihretwillen annehmen. (steht auf, nimmt das Urteil von dem Tisch und
liest,) "in eine lebenslängliche Verweisung auf die Festung."
Lebenslänglich! das ist genug--aber sie wird vor mir stehen, ihre Hand
wird mir den Schweiß von der Stirne trocknen, die Tränen von den
Backen wischen--die Augen mir zudrücken, wenn ich ausgelitten habe.
Überall werd ich sie hören, sie sehen, sie sprechen, und die Kette, an
der ich arbeite, wird ihre Kette sein. (fährt zusammen.) Wen seh ich!
(Der alte Lord Hot tritt herein.)
LORD. Unwürdiger! ist das der Ort, wo ich dich anzutreffen hoffte?
ROBERT. (fällt ihm zu Füßen, eine Weile stumm.) Lassen Sie mich zu
mir selber kommen, mein Vater--
LORD. (hebt ihn auf, und umarmt ihn.) Armer, wahnwitziger, kranker
Schulknabe! du ein Pair im Parlement?--
ROBERT. Hören Sie mich an.-LORD. Ich weiß alles. Ich komme von
der Prinzessin von Carignan (Robert zittert.) Du hast die Dame
unglücklich gemacht, sie kann es sich und ihre Reizungen nicht

verzeihen, einen Menschen so gänzlich um seinen Verstand gebracht zu
haben, der jung, hoffnungsvoll, in der Blüte seiner Jahre und
Fähigkeiten, seinen Vater und Vaterland in den größten Erwartungen
hintergeht. Hier ist deine Befreiung! Willst du der Prinzessin nicht auf
ewig einen Dorn in ihr Herz drücken, so steh auf, setz dich ein mit mir,
und kehr nach England zurück.
ROBERT. (eine Weile außer Fassung. dann fährt er plötzlich nach der
Ordre in des Vaters Händen, und will sie zerreißen.)
LORD. Nichtswürdiger!--deine Begnadigung!--
ROBERT. Nein, die Begnadigung meiner Prinzessin war viel gnädiger.
Ich habe die Festung verdient, weil ich mich unterstanden, ihre Ruhe zu
stören. Aber ich blieb ihr nah; derselbe Himmel umwölbte mich,
dieselbe Luft wehte mich an--es waren keine Länder, kein ungetreues
Meer zwischen uns; ich konnte wenigstens von Zeit zu Zeit
Neuigkeiten von ihr zu hören hoffen--Aber nun auf ewig von ihr
hinweggerissen, in den Strudel der öffentlichen Geschäfte; vom König,
und Ihnen, und Lord Hamilton gezwungen, in den Armen der Lady
Hamilton--sie zu vergessen!--Behalten Sie Ihre Begnadigung für sich,
und gehen in die Wälder, von wilden Tieren Zärtlichkeit für ihre
Jungen zu lernen.
LORD. Elender! so machst du die menschenfreundlichsten
Bemühungen zu nichte, und stößest die Hände, die dich von dem
Sturze des Abgrundes weghaschen wollen, mit Undankbarkeit von dir.
Wisse! es ist nicht meine Hand, die du zurückstößt, es ist die Hand
deiner Prinzessin selber. Sie hat dir diese Befreiung ausgewirkt, und
damit sie deine unsinnige Leidenschaft und diese Großmut nicht nährte,
hat sie mich gebeten, ihr meinen Namen dazu zu leihen, hat sie sich
gestellt, dir eine zweideutige Begnadigung ausgewirkt zu haben, um
sich dadurch in deiner Phantasie einen widerwärtigen Schatten zu
geben. Aber deine Raserei ist unheilbar; wenigstens zittre, ihren
großmütigen Absichten entgegen zu stehen, und wenn du nicht willst,
daß sie dich als den Störer ihres ganzen Glücks auf ewig hassen
soll--flieh! sie befiehlt es dir aus meinem Munde-ROBERT. (lange vor
sich hinsehend.) Das ist in der Tat fürchterlich! diese Klarheit, die mich
umgibt, und mir die liebe Dunkelheit,
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