Der Englaender | Page 2

Jacob Michael Reinhold Lenz
wußte, Sie vor
seinem Tod noch einmal zu sehen, Ihnen zu sagen, daß er für Sie stirbt.
Die Sonne zürnt nicht, wenn ein dreister Vogel ihr entgegen fliegt und,
von ihrem Glanz betäubt, sodann tot herab ins Meer fällt.
ARMIDA. Wer spricht dort mit mir?
ROBERT. Erlauben Sie mir, daß ich herauf komme, Ihnen meinen
Namen zu nennen, meine Geschichte zu erzählen. Das tote Schweigen
der Natur, und die feierliche Stille dieser meiner Sterbestunde flößt mir
Mut ein. Ich gehe zum Himmel, wenn es einen gibt, und einem
Sterbenden muß alles erlaubt sein.--(will aufstehen.)
ARMIDA. Verwegner! Wer seid ihr?
ROBERT. Ich bin ein Engländer, Prinzessin; bin der Stolz und die
Hoffnung meines Vaters, der Lord Hot, Pair von England. Auf der
letzten Maskerade bei Hof hab ich Sie gesehen, hab ich mit Ihnen
getanzt; Sie haben es vergessen, ich aber nicht. Ich kann und darf nicht
hoffen, Sie jemals zu besitzen, doch kann ich nicht leben ohne diese
Hoffnung. Morgen kommt mein Vater an und will mich nach England
zurückführen, und mit Lord Hamiltons Tochter verheiraten. Urteilen
Sie nun, wie unglücklich ich bin. Er darfs nicht wissen, daß ich Soldat
bin, sonst kauft er mich los; und wo denn Schutz finden; was denn
anfangen, wenn mich dieser heilige Stand vor ihm und Lord Hamilton
nicht mehr sicher stellen kann?--Bedauern Sie mich, Prinzessin; ich
sehe, ich sehe das Mitleid aus ihren schwarzen Augen zittern; ich kann
diesen süßen Seufzer mit meinen Lippen auffangen, der ihren Busen
mir so göttlich weiß entgegen hebt.--O in diesem Augenblick zu
sterben ist alle Glückseligkeit des Lebens wert.
ARMIDA. Mein Herr! ich sehe wohl, daß Sie was anders sind, als Sie
zu sein scheinen--daß Sie Bedauern verdienen--Sie sind damit
zufrieden, wenn ich Sie bedauere? Ist Ihnen diese Versicherung nicht
genug, so bedenken Sie doch, daß mehr verlangen, mein Unglück

verlangen hieße.
ROBERT. Ach, schöne Prinzessin! Nichts als bedauern? Und wenn
auch das Sie nicht glücklich macht, so will ich den Urheber Ihres
Unglücks strafen. (springt auf, nimmt sein Gewehr wieder, und geht
herum. Die Runde kommt.)
ROBERT. Wer da?
RUNDE. Runde!
ROBERT. Steh, Runde! (heimlich mit dem Major.)
MAJOR. (laut.) Was ist vorgegangen, daß ihr geschossen habt?
ROBERT. Ich habe einen Deserteur ertappt.
MAJOR. Es hat doch niemand beim Appell gefehlt. Wer war's?
ROBERT. Ich.
MAJOR. Kerl, habt ihr den Verstand verloren? Löst ihn ab, führt ihn in
die Hauptwache.

Zweiter Akt
Erste Szene
(Der Prinzessin Palast. Major Borgia. Prinzessin von Carignan.)
MAJOR. Eure Hoheit verzeihen, daß ich mich untertänigst beurlaube.
Es wird Kriegsrat über einen Deserteur gehalten, bei dem ich
unumgänglich gegenwärtig sein muß.
ARMIDA. Eben deswegen, Herr Major, habe ich Sie rufen lassen. Er
ist unter meinem Fenster in Verhaft genommen worden, ich war wach,
als der Schuß geschah. Der Mensch muß eine verborgene Melancholie
haben, die ihn zu dergleichen gewaltsamen Entschließungen bringt.
MAJOR. Man will sagen, daß er nicht von geringerem Herkommen
sein soll. Einige haben mir sogar behaupten wollen, er sei ein Lord, und
von einem der ersten Häuser in England.
PRINZESSIN. Desto behutsamer müssen Sie gehen. Erkundigen Sie
sich sorgfältig nach seiner Familie bei ihm.
MAJOR. Es ist schon geschehen. Er will aber nichts sagen, und die
Strenge der königlichen Verordnungen--
PRINZESSIN. Ich gelte auch etwas bei dem König, und mein Bruder;
und ich will, daß Sie ihm das Leben nicht absprechen, Herr Major,
wenn Ihnen Ihr zeitlich Glück lieb ist.
MAJOR. Nach dem Kriegsreglement hat er das Leben verwirkt--
PRINZESSIN. Ich gehe, mich dem Könige deswegen zu Füßen zu

werfen, unterdessen erkundigen Sie sich aufs sorgfältigste nach seinen
Eltern, und sehen Sie, daß Sie ihnen, so geschwind es sein kann,
Nachricht von diesem Vorfall geben. Ich bitte mirs von Ihnen zu
Gnaden aus, Herr Major!
MAJOR. Eurer Hoheit Befehle sind mir in allen andern Stücken
heilig--(sie gibt ihm noch einen Blick, und geht ab. Der Major
gleichfalls von der andern Seite.)

Zweite Szene
(Roberts Gefängnis. In der Dämmerung.)
ROBERT. (spielt die Violine und singt dazu.)
So geht's denn aus dem Weltgen 'raus, O Wollust, zu vergehen! Ich
sterbe sonder Furcht und Graus, Ich habe sie gesehen. Brust und
Gedanke voll von ihr: So komm, o Tod! ich geige dir; So komm, o Tod!
und tanze mir.
Nur um ein paar Ellen hÄtt' ich ihr näher sein sollen, ihre Mienen auf
mich herabscheinen zu sehen--ihren Atem zu trinken--Man muß
genÜgsam sein--Das Leben ist mir gut genug geworden, es ist Zeit, daß
ich gehe, eh es schlimmer wird. (spielt wieder.)
O Wollust--o Wollust, zu vergehen! Ich habe--habe sie gesehen.
(Die Prinzessin von Carignan tritt ins GefÄngnis, verkleidet als ein
junger Offizier. Ihr Bruder als Gemeiner.)
ROBERT. Himmlisches Licht, das mich umgibt! (läßt die Geige fallen,
kniet.)
PRINZESSIN. Stehen Sie auf, mein Herr! ich bring Ihnen Ihr
Urteil--Ihre Begnadigung vielmehr. Ich war die Ursache der
unglÜcklichen Verirrung Ihrer Einbildungskraft, ich mußte dafür
sorgen,
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