Der Arme Spielmann | Page 6

Franz Grillparzer
Noten und Intervalle, ja nahm keinen Anstand, sie willk��rlich zu wiederholen, wobei sein Gesicht oft geradezu den Ausdruck der Verz��ckung annahm. Da er nun zugleich die Dissonanzen so kurz als m?glich abtat, ��berdies die f��r ihn zu schweren Passagen, von denen er aus Gewissenhaftigkeit nicht eine Note fallen lie?, in einem gegen das Ganze viel zu langsamen Zeitma? vortrug, so kann man sich wohl leicht eine Idee von der Verwirrung machen, die daraus hervorging. Mir ward es nachgerade selbst zuviel. Um ihn aus seiner Abwesenheit zur��ckzubringen, lie? ich absichtlich den Hut fallen, nachdem ich mehrere Mittel schon fruchtlos versucht hatte. Der alte Mann fuhr zusammen, seine Knie zitterten, kaum konnte er die zum Boden gesenkte Violine halten. Ich trat hinzu. "Oh, Sie sind's, gn?diger Herr!" sagte er, gleichsam zu sich selbst kommend. "Ich hatte nicht auf Erf��llung Ihres hohen Versprechens gerechnet." Er n?tigte mich zu sitzen, r?umte auf, legte hin, sah einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann pl?tzlich einen auf einem Tische neben der Stubent��r stehenden Teller und ging mit demselben zu jener hinaus. Ich h?rte ihn drau?en mit der G?rtnersfrau sprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur T��re herein, wobei er den Teller hinter dem R��cken verbarg und heimlich wieder hinstellte. Er hatte offenbar Obst verlangt, um mich zu bewirten, es aber nicht erhalten k?nnen. "Sie wohnen hier recht h��bsch", sagte ich, um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen. "Die Unordnung ist verwiesen. Sie nimmt ihren R��ckzug durch die T��re, wenn sie auch derzeit noch nicht ganz ��ber die Schwelle ist.--Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche", sagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. "Dort dr��ben wohnen zwei Handwerksgesellen."--"Und respektieren diese Ihre Bezeichnung?"--"Sie nicht, aber ich", sagte er. "Nur die T��re ist gemeinschaftlich."--"Und werden Sie nicht gest?rt von Ihrer Nachbarschaft?"--"Kaum", meinte er. "Sie kommen des Nachts sp?t nach Hause, und wenn sie mich da auch ein wenig im Bette aufschrecken, so ist daf��r die Lust des Wiedereinschlafens um so gr??er. Des Morgens aber wecke ich sie, wenn ich mein Zimmer in Ordnung bringe. Da schelten sie wohl ein wenig und gehen." Ich hatte ihn w?hrenddessen betrachtet. Er war h?chst reinlich gekleidet, die Gestalt gut genug f��r seine Jahre, nur die Beine etwas zu kurz. Hand und Fu? von auffallender Zartheit.--"Sie sehen mich an", sagte er, "und haben dabei Ihre Gedanken?"--"Da? ich nach Ihrer Geschichte l��stern bin", versetzte ich.--"Geschichte?" wiederholte er. "Ich habe keine Geschichte. Heute wie gestern, und morgen wie heute. ��bermorgen freilich und weiter hinaus, wer kann das wissen? Doch Gott wird sorgen, der wei? es"--"Ihr jetziges Leben mag wohl einf?rmig genug sein", fuhr ich fort; "aber Ihre fr��heren Schicksale. Wie es sich f��gte--" "Da? ich unter die Musikleute kam?" fiel er in die Pause ein, die ich unwillk��rlich gemacht hatte. Ich erz?hlte ihm nun, wie er mir beim ersten Anblicke aufgefallen; den Eindruck, den die von ihm gesprochenen lateinischen Worte auf mich gemacht h?tten. "Lateinisch", t?nte er nach. "Lateinisch? das habe ich freilich auch einmal gelernt oder vielmehr h?tte es lernen sollen und k?nnen. Loqueris latine?" wandte er sich gegen mich, "aber ich k?nnte es nicht fortsetzen. Es ist gar zu lange her. Das also nennen Sie meine Geschichte? Wie es kam?--Ja so! da ist denn freilich allerlei geschehen; nichts Besonderes, aber doch allerlei. M?chte ich mir's doch selbst einmal wieder erz?hlen. Ob ich's nicht gar vergessen habe. Es ist noch fr��h am Morgen", fuhr er fort, wobei er in die Uhrtasche griff, in der sich freilich keine Uhr befand.--Ich zog die meine, es war kaum 9 Uhr.--"Wir haben Zeit, und fast kommt mich die Lust zu schwatzen an." Er war w?hrend des letzten zusehends ungezwungener geworden. Seine Gestalt verl?ngerte sich. Er nahm mir ohne zu gro?e Umst?nde den Hut aus der Hand und legte ihn aufs Bette; schlug sitzend ein Bein ��ber das andere und nahm ��berhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit Erz?hlenden an.
"Sie haben"--hob er an--"ohne Zweifel von dem Hofrate--geh?rt?" Hier nannte er den Namen eines Staatsmannes, der in der [zweiten] H?lfte des vorigen Jahrhunderts unter dem bescheidenen Titel eines Bureauchefs einen ungeheuren, beinahe minister?hnlichen Einflu? ausge��bt hatte. Ich bejahte meine Kenntnis des Mannes. "Er war mein Vater", fuhr er fort.--Sein Vater? des alten Spielmanns? des Bettlers? Der Einflu?reiche, der M?chtige sein Vater? Der Alte schien mein Erstaunen nicht zu bemerken, sondern spann, sichtbar vergn��gt, den Faden seiner Erz?hlung weiter. "Ich war der mittlere von drei Br��dern, die in Staatsdiensten hoch hinaufkamen, nun aber schon beide tot sind; ich allein lebe noch", sagte er und zupfte dabei an seinen fadenscheinigen Beinkleidern, mit niedergeschlagenen Augen einzelne Federchen davon herablesend. "Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine Br��der taten ihm genug. Mich nannte man einen langsamen Kopf; und ich war langsam. Wenn ich mich recht erinnere", sprach er weiter, und dabei senkte er, seitw?rts gewandt, wie in
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