Der Arme Spielmann | Page 5

Franz Grillparzer
mein Original wohnen mochte? Ich hatte die Hausnummer gl��cklich vergessen, auch war in der Dunkelheit an das Erkennen irgendeiner Bezeichnung kaum zu denken. Da schritt, auf mich zukommend, ein mit K��chengew?chsen schwer beladener Mann an mir vor��ber. "Kratzt der Alte einmal wieder", brummte er, "und st?rt die ordentlichen Leute in ihrer Nachtruhe." Zugleich, wie ich vorw?rtsging, schlug der leise, langgehaltene Ton einer Violine an mein Ohr, der aus dem offenstehenden Bodenfenster eines wenig entfernten ?rmlichen Hauses zu kommen schien, das, niedrig und ohne Stockwerk wie die ��brigen, sich durch dieses in der Umgrenzung des Daches liegende Giebelfenster vor den andern auszeichnete. Ich stand stille. Ein leiser, aber bestimmt gegriffener Ton schwoll bis zur Heftigkeit, senkte sich, verklang, um gleich darauf wieder bis zum lautesten Gellen emporzusteigen, und zwar immer derselbe Ton, mit einer Art genu?reichem Daraufberuhen wiederholt. Endlich kam ein Intervall. Es war die Quarte. Hatte der Spieler sich vorher an dem Klange des einzelnen Tones geweidet, so war nun das gleichsam woll��stige Schmecken dieses harmonischen Verh?ltnisses noch ungleich f��hlbarer. Sprungweise gegriffen, zugleich gestrichen, durch die dazwischen- liegende Stufenreihe h?chst holperig verbunden, die Terz markiert, wiederholt. Die Quinte darangef��gt, einmal mit zitterndem Klang wie ein stilles Weinen, ausgehalten, verhallend, dann in wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer dieselben Verh?ltnisse, die n?mlichen T?ne.--Und das nannte der alte Mann Phantasieren! --Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasieren war, f��r den Spieler n?mlich, nur nicht auch f��r den H?rer.
Ich wei? nicht, wie lange das gedauert haben mochte und wie arg es geworden war, als pl?tzlich die T��re des Hauses aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und lose eingekn?pftem Beinkleide angetan, von der Schwelle bis in die Mitte der Stra?e trat und zu dem Giebelfenster emporrief: "Soll das heute einmal wieder gar kein Ende nehmen?" Der Ton der Stimme war dabei unwillig, aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verstummte, ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins Haus zur��ck, das Giebelfenster schlo? sich, und bald herrschte eine durch nichts unterbrochene Totenstille um mich her. Ich trat, m��hsam in den mir unbekannten Gassen mich zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantasierte, aber, niemand st?rend, f��r mich, im Kopfe.
Die Morgenstunden haben f��r mich immer einen einen eigenen Wert gehabt. Es ist, als ob es mir Bed��rfnis w?re, durch die Besch?ftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem in den ersten Stunden des Tages mir den Rest desselben gewisserma?en zu heiligen. Ich kann mich daher nur schwer entschlie?en, am fr��hen Morgen mein Zimmer zu verlassen, und wenn ich ohne vollg��ltige Ursache mich einmal dazu n?tige, so habe ich f��r den ��brigen Tag nur die Wahl zwischen gedankenloser Zerstreuung oder selbstqu?lerischem Tr��bsinn. So kam es, da? ich durch einige Tage den Besuch bei dem alten Manne, der verabredeterma?en in den Morgenstunden stattfinden sollte, verschob. Endlich ward die Ungeduld meiner Herr, und ich ging. Die G?rtnergasse war leicht gefunden, ebenso das Haus. Die T?ne der Violine lie?en sich auch diesmal h?ren, aber durch das geschlossene Fenster bis zum Ununterscheidbaren ged?mpft. Ich trat ins Haus. Eine vor Erstaunen halb sprachlose G?rtnersfrau wies mich eine Bodentreppe hinauf. Ich stand vor einer niedern und halb schlie?enden T��re, pochte, erhielt keine Antwort, dr��ckte endlich die Klinke und trat ein. Ich befand mich in einer ziemlich ger?umigen, sonst aber h?chst elenden Kammer, deren W?nde von allen Seiten den Umrissen des spitzzulaufenden Daches folgten. Hart neben der T��re ein schmutziges, widerlich verst?rtes Bette, von allen Zutaten der Unordentlichkeit umgeben; mir gegen��ber, hart neben dem schmalen Fenster, eine zweite Lagerst?tte, d��rftig, aber reinlich, und h?chst sorgf?ltig gebettet und bedeckt. Am Fenster ein kleines Tischchen mit Notenpapier und Schreibger?te, im Fenster ein paar Blument?pfe. Die Mitte des Zimmers von Wand zu Wand war am Boden mit einem dicken Kreidenstriche bezeichnet, und man kann sich kaum einen grelleren Abstich von Schmutz und Reinlichkeit denken, als diesseits und jenseits der gezogenen Linie, dieses ?quators einer Welt im kleinen, herrschte.
Hart an dem Gleicher hatte der alte Mann sein Notenpult hingestellt und stand, v?llig und sorgf?ltig gekleidet, davor und--exerzierte. Es ist schon bis zum ��belklang so viel von den Mi?kl?ngen meines, und ich f��rchte beinahe, nur meines Lieblings die Rede gewesen, da? ich den Leser mit der Beschreibung dieses h?llischen Konzertes verschonen will. Da die ��bung gr??tenteils aus Passagen bestand, so war an ein Erkennen der gespielten St��cke nicht zu denken, was ��brigens auch sonst nicht leicht gewesen sein m?chte. Einige Zeit Zuh?rens lie? mich endlich den Faden durch dieses Labyrinth erkennen, gleichsam die Methode in der Tollheit. Der Alte geno?, indem er spielte. Seine Auffassung unterschied hierbei aber schlechthin nur zweierlei, den Wohlklang und den ��belklang, von denen der erstere ihn erfreute, ja entz��ckte, indes er dem letztern, auch dem harmonisch begr��ndeten, nach M?glichkeit aus dem Wege ging. Statt nun in einem Musikst��cke nach Sinn und Rhythmus zu betonen, hob er heraus, verl?ngerte er die dem Geh?r wohltuenden
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