völligen Mangel an Kombination und Dialektik, einer
absoluten Geistlosigkeit. Was man im weitesten Sinne Witz nennt, jede
leidenschaftliche--warme oder spottende--Beleuchtung der Rede, jede
Überraschung des Scharfsinns, jedes Spiel der Einbildungskraft waren
abwesend. Nur der einfachste Begriff und das ärmste Wort standen dem
Knaben zu Gebote. Höchstens gefiel dann und wann eine Wendung
durch ihre Unschuld oder brachte zum Lächeln durch ihre Naivität.
Seltsamer- und traurigerweise sprach der Hausgeistliche von seinem
Zögling unwissentlich in den Worten Molières: 'ein Knabe ohne Falsch,
der alles auf Treu und Glauben nimmt, ohne Feuer und
Einbildungskraft, sanft, friedfertig, schweigsam und'--setzte er
hinzu--'mit den schönsten Herzenseigenschaften.'
Der Marschall und ich wussten dann--die Wahl war nicht gross--keine
bessere Schule für das Kind als ein Jesuitencollegium; und warum nicht
das in Paris, wenn wir Julian nicht von seinen Standes und
Altersgenossen sondern wollten? Man muss es den Vätern lassen: sie
sind keine Pedanten, und man darf sie loben, dass sie angenehm
unterrichten und freundlich behandeln. Mit einer Schule jansenistischer
Färbung konnten wir uns nicht befreunden: der Marschall schon nicht
als guter Untertan, der Euer Majestät Abneigung gegen die Sekte
kannte und Euer Majestät Gnade nicht mutwillig verscherzen wollte,
ich aus eben diesem Grunde"--Fagon lächelte--"und weil ich für den
durch seine Talentlosigkeit schon überflüssig gedrückten Knaben die
herbe Strenge und die finstern Voraussetzungen dieser Lehre
ungeeignet, die leichte Erde und den zugänglichen Himmel der Jesuiten
dagegen hier für zuträglich oder wenigstens völlig unschädlich hielt,
denn ich wusste, das Grundgesetz dieser Knabenseele sei die Ehre.
Dabei war auf meiner Seite die natürliche Voraussetzung, dass die
frommen Väter nie von dem Marschalle beleidigt würden, und das war
in keiner Weise zu befürchten, da der Marschall sich nicht um
kirchliche Händel kümmerte und als Kriegsmann an der in diesem
Orden streng durchgeführten Subordination sogar ein gewisses
Wohlgefallen hatte.
Wie sollte aber der von der Natur benachteiligte Knabe mit einer
öffentlichen Klasse Schritt halten? Da zählten der Marschall und ich
auf zwei verschiedene Hilfen. Der Marschall auf das Pflichtgefühl und
den Ehrgeiz seines Kindes. Er selbst, der nur mittelmässig Begabte,
hatte auf seinem Felde Rühmliches geleistet, aber kraft seiner sittlichen
Eigenschaften, nicht durch eine geniale Anlage. Ohne zu wissen oder
nicht wissen wollend, dass Julian jene mittlere Begabung, welche er
selbst mit eisernem Fleisse verwertete, bei weitem nicht besitze,
glaubte er, es gebe keine Unmöglichkeit für den Willenskräftigen und
selbst die Natur lasse sich zwingen, wie ihn denn seine Galopins
beschuldigen, er tadle einen während der Parade über die Stirn
rollenden Schweisstropfen als ordonnanzwidrig, weil er selbst nie
schwitze.
Ich dagegen baute auf die allgemeine Menschenliebe der Jesuiten und
insonderheit auf die Berücksichtigung und das Ansehen der Person,
wodurch diese Väter sich auszeichnen. Ich beredete mich mit mehreren
derselben und machte sie mit den Eigenschaften des Knaben vertraut.
Um ihnen das Kind noch dringender an das Herz zu legen, sprach ich
ihnen von der Stellung seines Vaters, sah aber gleich, dass sie sich
daraus nichts machten. Der Marschall ist ausschliesslich ein
Kriegsmann, dabei tugendhaft, ohne Intrige, und die Ehre folgt ihm
nach wie sein Schatten. So hatten die Väter von ihm nichts zu hoffen
und zu fürchten. Unter diesen Umständen glaubte ich Julian eine
kräftigere Empfehlung verschaffen zu müssen und gab den frommen
Vätern einen Wink... " Der Erzähler stockte.
"Was vertuschest du, Fagon?" fragte der König.
"Ich komme darauf zurück", stotterte Fagon verlegen, "und dann wirst
du, Sire, mir etwas zu verzeihen haben. Genug, das Mittel wirkte. Die
Väter wetteiferten, dem Knaben das Lernen zu erleichtern, dieser fühlte
sich in einer warmen Atmosphäre, seine Erstarrung wich, seine kargen
Gaben entfalteten sich, sein Mut wuchs, und er war gut aufgehoben. Da
änderte sich alles gründlich in sein Gegenteil.
Etwa ein halbes Jahr nach dem Eintritt Julians bei den Jesuiten
ereignete sich zu Orléans, in dessen Weichbild die Väter Besitz und
eine Schule hatten, welche beide sie zu vergrössern wünschten, eine
schlimme Geschichte. Vier Brüder von kleinem Adel besassen dort ein
Gut, welches an den Besitz der Jesuiten stiess und das sie ungeteilt
bewirteten. Alle vier dienten in Eurem Heere, Sire, verzehrten, wie zu
geschehen pflegte, für ihre Ausrüstung und mehr noch im Umgang mit
reichen Kameraden ihre kurze Barschaft und verschuldeten ihre Felder.
Nun fand es sich, dass jenes Jesuitenhaus durch Zusammenkauf dieser
Pfandbriefe der einzige Gläubiger der vier Junker geworden war und
ihnen aus freien Stücken darüber hinaus eine abrundende Summe
vorschoss, drei Jahre fest, dann mit jähriger Kündigung. Daneben aber
verpflichteten sich die Väter den Junkern gegenüber mündlich aufs
feierlichste, die ganze Summe auf dem Edelgute stehenzulassen; es sei
eben nur ein rein formales Gesetz ihrer Ordensökonomie, Geld nicht
länger als auf drei Jahre auszutun.
Da begab es sich, dass die Väter jenes Hauses unversehens in ihrer
Vollzahl an das Ende der Welt geschickt wurden, wahrhaftig, ich
glaube nach Japan, und die an ihre Stelle tretenden begreiflicherweise
nichts von jenem mündlichen Versprechen ihrer

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