Das Leben und der Tod des Königs Lear | Page 3

William Shakespeare
Pfeil aus dem
Wege.
Kent.
Laß ihn vielmehr fallen, wenn gleich seine Spize mein Herz

durchbohren sollte. Kent mag unhöflich seyn, wenn Lear wahnwizig ist!
Was willt du thun, alter Mann? Denkst du, die Pflicht soll sich scheuen
zu reden, wenn sich die Gewalt vor der Schmeicheley bükt? Die Ehre
ist zu Aufrichtigkeit verbunden, wenn die Majestät zu Thorheit
herabsinkt. Behalt deinen Staat, hemme durch reifferes Urtheil diese
entsezliche Übereilung. Mit meinem Leben stehe ich davor, deine
jüngste Tochter liebt dich nicht am wenigsten. Meynest du, ihr Herz
sey weniger voll, weil es einen schwächern Klang von sich giebt, als
diejenigen, deren hohler Ton ihre Leerheit wiederhallt?
Lear.
Bey deinem Leben, Kent, nicht weiter!
Kent.
Mein Leben hielt ich nie für etwas anders als ein Pfand, das dir
meine Treue gegen deine Feinde versichern sollte; und ich fürchte nicht
es zu verliehren, wenn deine Sicherheit der Beweggrund ist.
Lear.
Aus meinem Gesicht!
Kent.
Sieh' besser, Lear, und laß mich immer deinen wahren
Augapfel bleiben.

Lear.
Nun, beim Apollo!
Kent.
Nun, beym Apollo, König, du entehrest deine Götter mit
vergeblichen Schwüren.
Lear.
Treuloser Vasall.
(Er legt seine Hand an sein Schwerdt.)
Albanien. Cornwall.
Theurer Sir, haltet ein!
Kent.
Tödte deinen Arzt, und nähre deinen Schaden--Wiederruffe
deinen Urtheilspruch, oder so lang ich einen Ton aus meiner Gurgel
athmen kan, will ich dir sagen, du thust übel.
Lear.
Höre mich, Abtrünniger! Weil du uns hast bereden wollen,
unsern Eyd zu brechen, den wir nimmer brechen dürfen, und dich
erfrechet hast, mit übermüthigem Stolz zwischen unsern Ausspruch
und dessen Vollziehung zu treten, welches weder unsre Gemüthsart
noch unsre Würde gestatten, und selbst unsre Macht nicht gut machen
kan; so empfange deinen Lohn. Fünf Tage vergönnen wir dir, dich mit
Mitteln gegen die Unfälle der Welt zu versehen; am sechsten aber
kehre unserm Reich deinen verhaßten Rüken; denn wenn von izt am
zehnten Tage dein verbannter Rumpf in unsern Herrschaften noch
gefunden wird, so ist der Augenblik dein Tod. Hinweg beym Jupiter!
diß soll nicht wiederruffen werden.
Kent.
Lebe wohl, König! Seit dem du dich in dieser Gestalt zeigest,
lebt die Freyheit anderwärts, und die Verbannung ist hier--Die Götter
schüzen dich, Mädchen, die du richtig denkst und sehr richtig
gesprochen hast. Ihr aber, mögen eure Thaten eure

vielversprechenden Reden bewähren! Und hiemit, ihr Fürsten, sagt
Kent euch allen, lebewohl, und geht, seinen Lauf in einem fremden
Lande zu vollenden.
(Geht ab.)

(Gloster mit den Fürsten von Frankreich und Burgund, und ihrem
Gefolge, tritt auf.)
Gloster.
Hier ist Frankreich und Burgund, mein edler Lord!
Lear.
Mylord von Burgund, wir wenden uns zuerst an euch, die ihr
neben diesem Könige um meine Tochter euch beworben habet. Nennet
das wenigste, was ihr zur Morgengabe mit ihr verlangt, oder stehet von
euerm verliebten Gesuch ab.
Burgund.
Königlicher Herr! Ich fordre nicht mehr als Eure Majestät
sich erboten hat, und weniger werdet ihr nicht geben.
Lear.
Sehr edler Lord, als sie uns werth war, hielten wir sie so; aber
nun ist ihr Preiß gefallen. Sir, hier steht sie. Wenn irgend etwas an
diesem kleinen Scheinding, oder alles zusammen genommen, mit
unsrer Ungnade beschwert, Eu. Gnaden anständig ist, so ist sie hier und
ist Euer.
Burgund.
Ich weiß keine Antwort hierauf.
Lear.
Wollt ihr sie, mit allen diesen Gebrechen, welche alles sind was
sie hat, freundlos, zu unserm Haß adoptiert, mit unserm Fluch
ausgesteurt, und durch unsern Eyd für eine Fremde erklärt, wollt ihr sie
nehmen oder verlassen?
Burgund.
Vergebung, Königlicher Herr! Auf solche Bedingungen
findet keine Wahl Plaz.
Lear.
So verlasset sie dann, Sir, dann bey der Macht, die mich
erschaffen hat, ich sagte euch ihren ganzen Reichthum. Was euch
betrift, grosser König, so schäze ich eure Liebe höher, als daß ich euch
mit derjenigen vermählen wollte, die ich hasse. Ich bitte euch also,
wendet eure Neigung auf einen würdigern Gegenstand als eine
Unglükselige, welche die Natur selbst beschämt ist, für die ihrige zu
erkennen.

Frankreich.
Diß ist sehr seltsam, daß Sie, die bisher der Liebling
euers Herzens, der Inhalt euers Lobes, und die Erquikung euers Alters
war, in etlichen Augenbliken eine That begangen haben soll, die

vermögend sey, sie einer so vielfältigen Gunst zu berauben. Denn nur
irgend ein unnatürliches ungeheures Verbrechen kan eine solche
Würkung thun. Dieses aber von Ihr zu denken, erfodert einen Glauben,
zu dem sich meine Vernunft ohne Wunderwerk nicht fähig findet.
Cordelia.
Ich bitte Euer Majestät, (weil mein Verbrechen ist, daß ich
diese glatte schlüpfrige Kunst nicht besize, etwas zu reden, was ich
nicht meyne; denn was meine wahre Meynung ist, das gebe ich früher
durch Thaten als Worte zu erkennen;) bekannt zu machen, daß keine
lasterhafte Tüke, Mord oder Verrätherey, noch eine unkeusche That,
oder sonst ein entehrender Schritt mich Eurer Gnade beraubt hat,
sondern bloß ein Mangel der mich reicher macht, der Mangel eines
immer bettelnden Auges, und solch einer Zunge, dergleichen ich nicht
zu haben, mich freue; obgleich sie nicht zu haben, mir den Verlust
Eurer Zuneigung gebracht hat.
Lear.
Besser wär' es, du wärest nie gebohren worden, als daß
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