Das Leben und der Tod des Königs Lear | Page 2

William Shakespeare
sagen, daß sie
uns am meisten liebe? damit wir unsre freygebigste Huld dahin
ergiessen, wo die Natur für das gröste Verdienst Ansprüche macht.
Gonerill, unsre Erstgebohrne, rede zuerst.
Gonerill.
Sire, ich liebe euch mehr als Augenlicht, Raum und
Freyheit; mehr als alles was theuer und selten geschäzt werden mag;
nicht minder als Leben, Gesundheit, Schönheit und Ehre; so sehr als
jemals ein Kind geliebt, oder ein Vater geliebt zu seyn verdient hat--mit
einer Liebe, die den Athem arm, und die Sprache unzulänglich macht,
die über allen Ausdruk ist, liebe ich euch.
Cordelia (beyseite.)
Was soll Cordelia thun? Lieben und schweigen.
Lear.
Von allen diesen Ländereyen, (von dieser Linie bis zu jener,)
mit schattichten Wäldern und offnen Ebnen, mit fruchtbaren Strömen
und weit verbreiteten Matten bereichert, machen wir dich zur

Beherrscherin. Deiner und Albaniens Nachkommenschaft sollen sie auf
ewig eigen seyn!--Was sagt unsre zweyte Tochter, unsre
geliebteste
Regan, Cornwalls Gemahlin? Rede!
Regan.
Ich bin von eben dem Metall gemacht wie meine Schwester,
und schäze mein getreues Herz nach dem Werth des ihrigen. Ich finde,
daß sie das wahre Wesen meiner Liebe ausgedrükt hat; nur darinn fällt
sie zu kurz, daß ich mich selbst eine Feindin aller andern Freuden
erkläre, welche die vier* edelsten Sinnen uns zu geben vermögend sind,
und finde, daß Eurer Majestät Liebe meine einzige
Glükseligkeit
macht.
{ed.-* Durch diese vier edelsten Sinne sind hier Gesicht, Gehör,
Geruch, und Geschmak zu verstehen; denn eine junge Dame konnte mit
Anständigkeit nicht zu verstehen geben, daß sie die Vergnügungen des
fünften kenne. Warbürton.

Der Übersetzer überläßt dieses dem Ausspruch der jungen Damen, und
wagt nur die Vermuthung, ob es nicht weit natürlicher sey zu denken,
Regan nenne eben darum die vier edelsten Sinne, weil sie dem fünften
nicht entsagen will.}
Cordelia (beyseite.)
Arme Cordelia!--und doch nicht arm, denn ich
bin gewiß, daß meine Liebe gewichtiger ist als ihre Zunge.
Lear.
Dir und den Deinigen bleibe zum ewigen Erbtheil dieser
ansehnliche Drittheil unsers schönen Königreichs, nicht geringer an
Grösse, Werth und Schönheit, als derjenige, den wir an Gonerill
übertragen haben--Nun du, unsre Freude, nicht die geringste, obgleich
die lezte, deren jugendliche Liebe das weinvolle Frankreich, und das
milchtrieffende Burgund zu gewinnen streben, was sagst du, ein drittes
noch reicheres Loos zu ziehen als deine Schwestern?
Cordelia.
Nichts, Milord!
Lear.
Nichts?
Cordelia.
Nichts!
Lear.
Aus Nichts kan nichts entspringen. Rede noch einmal.
Cordelia.
Ich Unglükliche, daß ich mein Herz nicht bis in meinen
Mund hinauf bringen kan! Ich liebe Eu. Majestät so viel als meine

Schuldigkeit ist, nicht mehr und nicht weniger.
Lear.
Wie? wie, Cordelia? Verbeßre deine Rede ein wenig, oder du
möchtest dein Glük verschlimmern.
Cordelia.
Mein theurer Lord, ihr habet mich gezeugt, erzogen, und
geliebt. Ich erstatte diese Wohlthaten wie es meine Pflicht erheischet,
ich gehorche euch, ich liebe und verehre euch. Wofür haben meine
Schwestern Männer, wenn sie sagen, sie lieben euch allein? Wenn ich
mich vermählen sollte, so wird der Mann dem ich meine Hand gebe,
auch die Helfte meiner Liebe und Ergebenheit mit sich nehmen.

Wahrhaftig, ich will nimmermehr heurathen wie meine Schwestern, um
allein meinen Vater zu lieben.
Lear.
Sprichst du aus deinem Herzen?
Cordelia.
Ja, mein theurer Lord.
Lear.
So jung, und so unzärtlich?
Cordelia.
So jung, Mylord, und so aufrichtig.
Lear.
So laß denn deine Aufrichtigkeit deine Mitgift seyn. Denn bey
den heiligen Stralen der Sonne, bey den Geheimnissen der Hecate und
der Nacht, bey allen Würkungen der himmlischen Kreise, durch welche
wir entstehen und aufhören zu seyn--entsage ich hier aller väterlichen
Sorge und Blutsverwandschaft, und erkläre dich von diesem Augenblik
an auf immer für einen Fremdling zu meinem Herzen, und mir. Der
barbarische Scythe, oder der mit dem Fleische seiner eignen Kinder
seinen unmenschlichen Hunger stillt, sollen meinem Herzen so nahe
ligen, und so viel Mitleiden und Hülfe von mir zu erwarten haben als
du, einst meine Tochter.
Kent.
Mein theurer Oberherr!
Lear.
Zurük, Kent! Wage dich nicht zwischen den Drachen und
seinen Grimm. Ich liebte sie höchlich, und gedachte den Rest meines
Eigenthums ihren holden Abkömmlingen zu vermachen--Hinweg aus
meinem Gesicht!
(zu Cordelia)
--So sey mein Grab meine Ruhe, als ich sie hier aus ihres Vaters
Herzen verstosse.--Ruffet die Fürsten von Frankreich und Burgund!--
Cornwall und Albanien, zu meiner beyden Töchter Mitgift, theilet auch
die dritte unter euch. Der Stolz den sie Aufrichtigkeit nennt, mag sie
versorgen. Euch belehne ich beyderseits mit meiner Oberherrlichkeit,
und allen den hohen Gerechtsamen und reichen Vortheilen, welche die

Majestät begleiten. Wir selbst werden mit Vorbehalt von hundert
Edelknechten, die ihr unterhalten sollet, unsern monatlichen Aufenthalt
wechselsweise bey euch nehmen; dieses und der königliche Titel mit
seinem Zugehör ist alles was wir uns ausbedingen; die Regierung, die
vollziehende Gewalt, und die Einkünfte, geliebte Söhne, sollen euer
seyn. Zu dessen
Bekräftigung theilet diese Crone unter euch.
(Er giebt die Crone hin.)
Kent.
Königlicher Lear, du, den ich allezeit als meinen König geehrt,
als meinen Vater geliebt, als meinen Meister begleitet, und als meinen
Schuz-Engel in meinen Gebeten angeruffen habe--
Lear.
Der Bogen ist gespannt und angezogen, geh dem
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