Das Haidedorf | Page 9

Adalbert Stifter
an, und jedes Haus verzehrte sein vorgerichtetes
Pfingstmahl.

Und was war es denn, was ihnen an Felix zurückgebracht worden war,
und warum ist er denn so lange nicht gekommen, und wo ist er denn
gewesen?
Sie wußten es nicht.
In der Kirche war er mit gewesen;--fast so kindlich andächtig, wie einst,
hatte er auf die Worte des Priesters gehorcht, sanftmüthig war er neben
der Mutter nach Hause gekehrt, und wenn dann bei Tische der Vater
das Wort nahm, so brach Felix das seine aufmerksam ab, und hörte
zu--und gegen Abend saß er mit der Großmutter im Schatten des
Hollunderbusches, und redete mit ihr, die ihm ganz sonderbare und
unverständliche Geschichten vorlallte [83]---und wenn dann so den Tag
über die Neugier der Mutter in sein Auge blickte, halb selig, halb
schmerzenreich, wenn sie nach den einstigen weichen Zügen
forschte--ihren ehemaligen heitern, treuherzigen, schönen Haideknaben
suchte sie----und siehe, sie fand ihn auch: in leisen Spuren war das Bild
des gutherzigen Knaben geprägt in dem Antlitze des Mannes, aber
unendlich schöner--so schön, daß sie oft einen Augenblick dachte, sie
könne nicht seine Mutter sein;--wenn er den ruhigen Spiegel seiner
Augen gegen sie richtete, so verständig und so gütig--oder wenn sie die
Wangen ansah, fast so jung, wie einst, nur noch viel dunkler gebräunt,
daß dagegen die Zähne wie Perlen leuchteten, dieselben Zähne, die
schon an dem Haidebuben so unschuldig und gesund geglänzt--und um
sie herum noch dieselben lieblichen Lippen, die aber jetzt reif und
männlich waren, und so schön, als sollte sogleich ein süßes Wort
daraus hervorgehen, sei's der Liebe, sei's der Belehrung----
"Er ist gut geblieben," jauchzte in ihr dann das Mutterherz; "er ist gut
geblieben, wenn er auch viel vornehmer ist, als wir."
Und in der That, es war ein solcher Glanz keuscher Reinheit um den
Mann, daß er selbst von dem rohen Herzen des Haideweibes erkannt
und geehrt wurde.
Was lebte denn in ihm, das ihn unangerührt durch die Welt getragen,
daß er seinen Körper als einen Tempel wiederbrachte, wie er ihn einst
aus der Einsamkeit fortgenommen?----

Sie wußten es nicht; nur immer heiterer und fast einfältiger legte sich
sein Herz dar, [84]so wie die Stunden des ruhigen Festtages nach und
nach verflossen.
Spät Abends erzählte er ihnen, da alle um den weißen buchenen Tisch
saßen, und auch Marthe mit ihrem Kinde da war, und Benedikt und
andere Nachbarn-- er erzählte ihnen von dem gelobten Lande, wie er
dort gewesen, wie er Jerusalem und Bethlehem gesehen habe, wie er
auf dem Tabor gesessen, sich in dem Jordan gewaschen;----den Sinai
habe er gesehen, den furchtbar zerklüfteten Berg, und in der Wüste sei
er gewandelt.--Er sagte ihnen, wie seine gezimmerten Truhen mit dem
Postboten kommen würden; dann werde er ihnen Erde zeigen, die er
aus den heiligen Ländern mitgebracht--auch getrocknete Blumen habe
er, und Kräuter, aus jenem Lande und Fußtritte des Herrn, und was nur
immer dort das Erdreich erzeuge und bringe--und viel heiliger, viel
heißer und viel einsamer seien je [85] Haiden und Wüsten, als die
hiesige, die eher ein Garten zu nennen----und wie er so redete, sahen
alle auf ihn, und horchten--und sie vergaßen, daß es Schlafenszeit
vorüber, daß die Abendröthe längst verglommen, daß die Sterne
emporgezogen, und in dichter Schaar über den Dächern glänzten.
Von Städten, den Menschen und ihrem Treiben hatte er nichts gesagt,
und sie hatten nicht gefragt. Die Worte seines Mundes thaten so wohl,
daß ihnen gerade das, was er sagte, das Rechte däuchte, und sie nicht
nach Anderem fragten.
Marthe trug endlich das schlafende Kind fort, Benedikt ging auch, die
Nachbarn entfernten sich--und noch seliger und noch freudenreicher,
als gestern gingen die Eltern zu Bette, und selbst der Vater dachte,
Felix sei ja fast wie ein Prediger und Priester des Herrn.
Auch auf die Haide war er gleich nach den Feiertagen gegangen, auf
seiner Rednerbühne war er gesessen; die Käfer, die Fliegen, die Falter,
die Stimme der Haidelerche und die Augen der Feldmäuschen waren
die nämlichen. Er schweifte herum, die Sonnenstrahlen spannen,--dort
dämmerte das Moor, und ein Zittern und Zirpen und Singen----und wie
der Vater ihn so wandeln sah, mußte er sich über die dünnen grauen
Haare fahren, und mit der schwielenvollen Hand über die Runzeln des

Angesichts streichen, damit er nicht glaube, sein K n a b e gehe noch
dort, und es fehlen nur die Ziegen und Schafe, daß es sei wie einst, und
daß die lange, lange Zeit nur ein Traum gewesen sei. Auch die
Nachbarn, wie er so Tag nach Tag unter ihnen wandelte, wie ihn schon
alle Kinder kannten, wie er jedem derselben, auch mit dem häßlichen,
so freundlich redete, und wie er so im Linnenkleide durch die neuen
Felder ging--glaubten ganz deutlich, er sei einer von ihnen, und doch
war es auch wieder ganz deutlich, wie er ein weit anderer sei, als sie.
Eine That müssen wir erzählen, ehe wir weiter gehen,
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