verlor die Bewegung einen
Theil ihrer Kraft, sie war ohnmächtig, weiter zu gehen. Und wie immer
nach 1849 die Reaktion in Deutschland hauste, das, was thatsächlich
jetzt bestand, ging weit über das hinaus, was vor 1848 bestanden hatte.
Die neuen Ideen hatten trotz alledem gesiegt und Alles, was seitdem in
Deutschland geschah, ist nur durch diesen Sieg im »tollen Jahr«
möglich geworden.
Rückschläge werden nun nothwendig in jeder Bewegung kommen, die
selbst wieder auf Klassenherrschaft, wenn auch sich selbst unbewußt,
hinausläuft. Ein solcher Rückschlag kann erst dann unterbleiben, wenn
eine Bewegung siegt, die in ihrem Wesen und Prinzip die Aufhebung
aller Klassenherrschaft bedingt und daher alle Formen sozialer und
politischer Herrschaft aufheben muß.
Bisher waren alle Bewegungen, die ihr Ziel erreichten, Bewegungen
der ersteren Art, und so begreift sich von vornherein, daß auch die
Bewegung, die gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Frankreich
begann und im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts zur Entscheidung
kam, diesem Schicksal aller bisherigen großen Volksbewegungen nicht
entgehen konnte. Ihr Charakter als Klassenbewegung des Bürgerthums,
ihr Ziel, die Herrschaft desselben zu begründen, zwang sie schließlich,
sich gegen die revolutionäreren Elemente in ihrer eignen Mitte zu
richten, und, da man innerhalb der Bewegungselemente und nachdem
die Bewegung absolut gesiegt hatte, weder hüben noch drüben diesen
inneren Widerspruch, in dem man sich zu einander befand, begriff,
mußte man sich gegenseitig bis zur Vernichtung bekämpfen und im
Blute ersticken. Die Interessen des Großbürgerthums mußten, weil sie
die entscheidenden waren, die Oberhand behalten, aber aus Furcht vor
neuen inneren Gegensätzen und Kämpfen warf sich dieses der
Militärdiktatur des Konsulats und des Kaiserreichs in die Arme, um
sich, d.h. die neue Gesellschaft, zur Ruhe und zum Genuß des
Errungenen kommen zu lassen.
Der Kampf gegen das alte System richtete sich in Frankreich gegen alle
bisherigen Grundlagen der alten Gesellschaft, gegen die Kirche, den
Adel, die absolute Staatsgewalt, gegen die Besteuerungs-, die
Eigenthumsformen, das Erziehungssystem, die sozialen Einrichtungen.
Nichts blieb im Laufe der Jahrzehnte, die dieser zunächst rein
literarische Kampf währte, unangetastet. Die Angriffe wurden immer
kühner. Ganz neue Staats- und Gesellschaftssysteme (Condorcet,
Morelli, Mably, Rousseau) tauchten auf und erklärten dem
Bestehenden den Krieg; ebenso wurden fast alle Zweige der
Naturwissenschaften und insbesondere auch die Philosophie in der
radikalsten Weise behandelt. Die Verfolgungen, welche die
Staatsgewalt und die Kirche gegen diese Feinde der alten Ordnung in
Szene setzten, hatten so gut wie keine Wirkung, sie gossen nur Oel in's
Feuer. Jahrelange Gefängnißstrafen, Verbannungen, Degradirungen,
Ausweisungen gegen die Verfasser, Verbrennung ihrer Bücher und
Schriften, Verbote gegen ihre Verbreitung, gesellschaftliche Aechtung
der Autoren, Alles half nichts. Die Bewegung schwoll von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt immer mehr an, sie ergriff Alles, was Kenntnisse und
Intelligenz besaß, sie erfaßte sogar die Frauen und wuchs so, daß die
Gewaltmittel des Staates versiegten und dieser wie die Kirche von einer
Position in die andere zurück gedrängt wurden. Im vorletzten Jahrzehnt
vor der Revolution gab es in Frankreich keinen Schriftsteller von
einiger Bedeutung, der nicht im Gefängniß gesessen oder Verbannung
erlitten, oder dessen Werke nicht verboten oder öffentlicht verbrannt
worden, oder der nicht in irgend sonst einer Weise verfolgt, drangsalirt
und geschädigt worden war. Voltaire, Montesquieu, Rousseau,
Beaumarchais, Diderot, d'Alembert, La Mettrie, La Harpe, Marmontel,
Morellet, Buffon, Linguet und viele, viele Andere verfielen der
Verfolgung. Wenn Holbach und Helvetius, Turgot, Quesnay, Necker,
Condillac, Laylain, Cuvier, Lavoisiers, Bichot, Mirabeau der Aeltere
solchen Verfolgungen entgingen, geschah es, daß sie, wie die beiden
Erstgenannten, anonym schrieben, oder daß sie zu einer Zeit schrieben,
wo das System, von der Nutzlosigkeit der Verfolgungen betroffen,
ermüdet war, oder daß sie wissenschaftliche Thematas behandelten, die
dasselbe nicht direkt berührten. Und auch in letzterer Beziehung ging
das Mißtrauen sehr weit; so mußte Buffon, als er 1751 seine
Naturgeschichte veröffentlichte, der Pariser theologischen Fakultät
ausdrücklich versprechen, daß Alles, was er in seinem Buche lehre, mit
der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht in Widerspruch stehe. Die
Enzyklopädie der d'Alembert, Diderot und Genossen aber wurde mit
der Motivirung verboten, »daß sie Grundsätze enthalte, welche darauf
hinzielten, den Geist der Unabhängigkeit und Empörung zu wecken
und unter dunkeln und zweideutigen Ausdrücken den Grund zum
Irrthum, zur Sittenverderbniß und zum Unglauben zu legen.« Doch alle
diese Maßnahmen retteten das System nicht.
Die Bewegung hatte endlich ihren Höhepunkt erreicht, die Gesellschaft
wollte statt der Theorien Thaten sehen. Der Hof suchte durch halbe
Konzessionen und kleinliche Maßregeln, die das Gegentheil erzeugten
von dem, was sie bezweckten, dem Drängen nachzugeben. Der Sturm
brach endlich los. Wir beschreiben nicht die französische Revolution,
wir skizziren sie nur kurz, weil dies für unsern Zweck genügt. Die
Nationalversammlung, anfangs den Bestand des Königthums als
selbstverständlich ansehend, wurde im Laufe der Ereignisse über sich
selbst hinaus getrieben. War die Konstituante noch königlich, der
Konvent wurde republikanisch. Die zunehmende Noth der Massen,
Mangel an Lebensmitteln, Mangel an Arbeit, Wucher, Mißtrauen gegen
Oben schürten den Brand. Die royalistischen und pfäffischen Intriguen
im In- und Ausland, die Alles beunruhigten,
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