Casanovas Heimfahrt | Page 7

Arthur Schnitzler
ward ihm fast, als wäre er in
der Tat noch heute der glückverwöhnte, unverschämte, strahlende
Casanova, der mit schönen Frauen durch die Welt gefahren, den
weltliche und geistliche Fürsten mit hoher Gunst ausgezeichnet, der
Tausende verschwendet, verspielt und verschenkt hatte - und nicht ein
herabgekommener Schlucker, den ehemalige Freunde von England und
Spanien her mit lächerlichen Summen unterstützten, - die indes auch
manchmal ausblieben, so daß er auf die paar armseligen Geldstücke
angewiesen war, die er dem Baron Perotti oder dessen Gästen
abgewann; ja, er vergaß sogar, daß es ihm wie ein höchstes Ziel
erschien, in der Vaterstadt, die ihn erst eingekerkert und nach seiner
Flucht geächtet und verbannt hatte, als der geringste ihrer Bürger, als
ein Schreiber, als ein Bettler, als ein Nichts - sein einst so prangendes
Dasein zu beschließen.
Auch Marcolina hörte ihm aufmerksam zu, aber mit keinem andern
Ausdruck, als wenn man ihr etwa aus einem Buch leidlich
unterhaltsame Geschichten vorläse. Daß ihr ein Mensch, ein Mann, daß
ihr Casanova selbst, der all dies erlebt hatte und noch vieles andre, was
er nicht erzählte, daß ihr der Geliebte von tausend Frauen gegenübersaß,
- und daß sie das wußte, davon verrieten ihre Mienen nicht das
geringste. Anders schimmerte es in Amaliens Augen. Für sie war
Casanova derselbe geblieben, der er gewesen; ihr klang seine Stimme
verführerisch wie vor sechzehn Jahren, und er selbst fühlte, daß es ihn
nur ein Wort und kaum so viel kosten würde, das Abenteuer von
damals, sobald es ihm beliebte, von neuem aufzunehmen. Doch was
war ihm Amalia in dieser Stunde, da ihn nach Marcolina verlangte wie
nach keiner vor ihr? Durch das mattglänzend sie umfließende Gewand
glaubte er ihren nackten Leib zu sehen; die knospenden Brüste blühten
ihm entgegen, und als sie sich einmal neigte, um ihr zu Boden
geglittenes Taschentuch aufzuheben, legte Casanovas entflammte
Phantasie ihrer Bewegung einen so lüsternen Sinn unter, daß er sich

einer Ohnmacht nahe fühlte. Daß er eine Sekunde lang unwillkürlich
im Erzählen stockte, entging Marcolina so wenig, wie daß sein Blick
seltsam zu flirren begann, und er las in dem ihren ein plötzliches
Befremden, Verwahrung, ja eine Spur von Ekel. Rasch faßte er sich
wieder und schickte sich eben an, seine Erzählung mit neuer
Lebhaftigkeit fortzusetzen, als ein wohlbeleibter Geistlicher eintrat, der
vom Hausherrn als der Abbate Rossi begrüßt und von Casanova sofort
als derselbe erkannt wurde, mit dem er vor siebenundzwanzig Jahren
auf einem Marktschiff zusammengetroffen war, das von Venedig nach
Chioggia fuhr. »Sie hatten damals ein Auge verbunden,« sagte
Casanova, der selten eine Gelegenheit vorübergehen ließ, mit seinem
vorzüglichen Gedächtnis zu prunken, »und ein Bauernweib mit gelbem
Kopftuch empfahl Ihnen eine heilkräftige Salbe, die ein junger, sehr
heisrer Apotheker zufällig mit sich führte.« Der Abbate nickte und
lächelte geschmeichelt. Dann aber, mit einem pfiffigen Gesicht, trat er
ganz nahe an Casanova heran, als hätte er ihm ein Geheimnis
mitzuteilen. Doch mit ganz lauter Stimme sagte er: »Und Sie, Herr
Casanova, befanden sich in Begleitung einer Hochzeitsgesellschaft ...
ich weiß nicht, ob als zufälliger Gast oder gar als Brautführer,
jedenfalls sah die Braut Sie mit viel zärtlichern Augen an als den
Bräutigam ... Ein Wind erhob sich, beinahe ein Sturm, und Sie
begannen ein höchst verwegenes Gedicht vorzulesen.« - »Das tat der
Chevalier gewiß nur,« sagte Marcolina, »um den Sturm zu
beschwichtigen.« - »Solche Zaubermacht«, erwiderte Casanova, »traute
ich mir niemals zu; allerdings will ich nicht leugnen, daß sich niemand
mehr um den Sturm kümmerte, als ich zu lesen begonnen.«
Die drei Mädchen hatten sich an den Abbate herangemacht. Sie wußten
wohl warum. Denn seinen ungeheuren Taschen entnahm er köstliches
Zuckerwerk in großen Mengen und schob es mit seinen dicken Fingern
den Kindern zwischen die Lippen. Indes berichtete Olivo dem Abbate
in aller Ausführlichkeit, wie er Casanova wiedergefunden. Wie
verloren hielt Amalia auf die herrische braune Stirn des teuren Gastes
ihren leuchtenden Blick geheftet. Die Kinder liefen in den Garten;
Marcolina hatte sich erhoben und sah ihnen durchs offne Fenster nach.
Der Abbate hatte Grüße vom Marchese Celsi zu bestellen, der, wenn es
seine Gesundheit zuließe, heute abend samt Gemahlin bei seinem

werten Freund Olivo erscheinen wollte. »Das trifft sich gut,« sagte
dieser, »da haben wir gleich dem Chevalier zu Ehren eine hübsche
kleine Spielgesellschaft; die Brüder Ricardi erwarte ich gleichfalls, und
auch Lorenzi kommt; die Kinder sind ihm auf seinem Spazierritt
begegnet.« - »Er ist noch immer da?« fragte der Abbate. »Schon vor
einer Woche hieß es, er solle zu seinem Regiment abgehen.« - »Die
Marchesa,« meinte Olivo lachend, »wird ihm beim Obersten einen
Urlaub erwirkt haben.« - »Es wundert mich,« warf Casanova ein, »daß
es für Mantueser Offiziere jetzt Urlaub gibt.« Und er erfand weiter:
»Zwei meiner Bekannten, einer aus Mantua, der andre aus Cremona,
sind nachts mit ihren Regimentern in der Richtung gegen Mailand
abmarschiert.« - »Gibt's Krieg?« fragte Marcolina vom Fenster her; sie
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