Bulemanns Haus | Page 6

Theodor W. Storm
der andere Tag, und als es Mittag geworden, geschah dasselbe, was tags zuvor geschehen war. Von der geleerten Schüssel sprangen die Katzen mit einem schweren Satz mitten ins Zimmer herein, reckten und streckten sich; und als Herr Bulemann, der schon wieder über seinen Zahlentafeln sa?, einen Blick zu ihnen hinüberwarf, stie? er entsetzt seinen Drehstuhl zurück und blieb mit ausgerecktem Halse stehen. Dort mit leisem Winseln, als wenn ihnen etwas B?ses angetan würde, standen Graps und Schnores zitternd mit geringelten Schw?nzen, das Haar gestr?ubt; er sah es deutlich, sie dehnten sich, sie wurden gro? und gr??er. Noch einen Augenblick stand er, die H?nde an den Tisch geklammert; dann pl?tzlich schritt er an den Tieren vorbei und ri? die Stubentür auf. "Frau Anken, Frau Anken!" rief er, und da sie nicht gleich zu h?ren schien, tat er einen Pfiff auf seinen Fingern, und bald schlurfte auch die Alte unten aus dem Hinterhaus hervor und keuchte eine Treppe nach der andern herauf.
"Sehen Sie sich einmal die Katzen an!" rief er, als sie ins Zimmer getreten war.
"Die hab? ich schon oft gesehen, Herr Bulemann."
"Sieht Sie daran denn nichts?"
"Da? ich nicht wü?te, Herr Bulemann!" erwiderte sie, mit ihren bl?den Augen um sich blinzelnd.
"Was sind denn das für Tiere? Das sind ja gar keine Katzen mehr!"
Er packte die Alte an den Armen und rannte sie gegen die Wand.
"Rot?ugige Hexe!" schrie er, "bekenne, was hast du meinen Katzen eingebraut!"
Das Weib klammerte ihre kn?chernen H?nde ineinander und begann unverst?ndliche Gebete herzuplappern. Aber die furchtbaren Katzen sprangen von rechts und links auf die Schultern ihres Herrn und leckten ihn mit ihren scharfen Zungen ins Gesicht. Da mu?te er die Alte loslassen.
Fortw?hrend plappernd und hüstelnd schlich sie aus dem Zimmer und kroch die Treppen hinab. Sie war wie verwirrt; sie fürchtete sich, ob mehr vor ihrem Herrn oder vor den gro?en Katzen, das wu?te sie selber nicht. So kam sie hinten in ihre Kammer. Mit zitternden H?nden holte sie einen mit Geld gef?llten Strumpf aus ihrem Bett hervor; dann nahm sie aus einer Lade eine Anzahl alter R?cke und Lumpen und wickelte sie um ihren Schatz herum, so da? es endlich ein gro?es Bündel gab. Denn sie wollte fort, um jeden Preis fort; sie dachte an die arme Halbschwester ihres Herrn drau?en in der Vorstadt; die war immer freundlich gegen sie gewesen, zu der wollte sie. Freilich, es war ein weiter Weg, durch viele Gassen, über viele schmale und lange Brücken, welche über dunkle Gr?ben und Flethen hinwegführten, und drau?en d?mmerte schon der Winterabend. Es trieb sie dennoch fort. Ohne an ihre Tausende von Weizenbr?tchen zu denken, die sie in kindischer Fürsorge in den gro?en Nu?baumschr?nken aufgeh?uft hatte, trat sie mit ihrem schweren Bündel auf dem Nacken aus dem Hause. Sorgf?ltig mit dem gro?en krausen Schlüssel verschlo? sie die schwere eichene Tür, steckte ihn in ihre Ledertasche und ging dann keuchend in die finstere Stadt hinaus.
Frau Anken ist niemals wiedergekommen, und die Tür von Bulemanns Haus ist niemals wieder aufgeschlossen worden.
Noch an demselben Tag aber, da sie fortgegangen, hat ein junger Taugenichts, der den Knecht Ruprecht spielend in den H?usern umherlief, mit Lachen seinen Kameraden erz?hlt, da er in seinem rauhen Pelze über die Crescentiusbrücke gegangen sei, habe er ein altes Weib derma?en erschreckt, da? sie mit ihrem Bündel wie toll in das schwarze Wasser hinabgesprungen sei.
Auch ist in der Frühe des andern Tages in der ?u?ersten Vorstadt die Leiche eines alten Weibes, welche an einem gro?en Bündel festgebunden war, von den W?chtern aufgefischt und bald darauf, da niemand sie gekannt hat, auf dem Armenviertel des dortigen Kirchhofs in einem platten Sarge eingegraben worden.
Dieser andere Morgen war der Morgen des Weihnachtsabends.
Herr Bulemann hatte eine schlechte Nacht gehabt; das Kratzen und Arbeiten der Tiere gegen seine Kammertür hatte ihm diesmal keine Ruhe gelassen; erst gegen die Morgend?mmerung war er in einen langen, bleiernen Schlaf gefallen. Als er endlich seinen Kopf mit der Zipfelmütze in das Wohnzimmer hineinsteckte, sah er die beiden Katzen laut schnurrend mit unruhigen Schritten umeinander hergehen. Es war schon nachmittag; die Wanduhr zeigte auf eins.
"Sie werden Hunger haben, die Bestien", murmelte er. Dann ?ffnete er die Tür nach dem Flur und pfiff nach der Alten. Zugleich aber dr?ngten die Katzen sich hinaus und rannten die Treppe hinab, und bald h?rte er von unten aus der Küche herauf Springen und Tellergeklapper. Sie mu?ten auf den Schrank gesprungen sein, auf den Frau Anken die Speisen für den andern Tag zurückzusetzen pflegte.
Herr Bulemann stand oben an der Treppe und rief laut und scheltend nach der Alten; aber nur das Schweigen antwortete ihm oder von unten herauf aus den Winkeln des alten Hauses ein schwacher Widerhall. Schon schlug er die Sch??e seines geblümten Schlafrocks übereinander und wollte selbst hinabsteigen, da polterte es drunten auf den Stiegen, und die beiden Katzen kamen wieder heraufgerannt. Aber das waren keine Katzen mehr; das waren
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