Bulemanns Haus | Page 4

Theodor W. Storm
so kam sie gewi?, in welchem Winkel sie auch sitzen mochte, eiligst hervorgekrochen und stieg st?hnend, Schimpf- und Klageworte vor sich herplappernd, die schmalen Treppen hinauf.
Wie aber in dem dritten Stockwerk Herr Bulemann, so hatte in den unteren Zimmern Frau Anken ihre ebenfalls nicht ganz rechtlich erworbenen Sch?tze aufgespeichert.
Schon in dem ersten Jahr ihres Zusammenlebens war sie von einer Art kindischer Angst befallen worden, ihr Herr k?nne einmal die Verausgabung des Wirtschaftsgeldes selbst übernehmen, und sie werde dann bei dem Geiz desselben noch auf ihre alten Tage Not zu leiden haben. Um dieses abzuwenden, hatte sie ihm vorgelegen, der Weizen sei aufgeschlagen, und demn?chst die entsprechende Mehrsumme für den Brotbedarf gefordert. Der Supercargo, der eben seine Lebensrechnung begonnen, hatte scheltend seine Papiere zerrissen und darauf seine Rechnung von vom wieder aufgestellt und den Wochenrationen die verlangte Summe zugesetzt.
Frau Anken aber, nachdem sie ihren Zweck erreicht, hatte zur Schonung ihres Gewissens und des Sprichwortes gedenkend: "Geschleckt ist nicht gestohlen", nun nicht die überschüssig empfangenen Schillinge, sondern regelm??ig nur die dafür gekauften Weizenbr?tchen unterschlagen, mit denen sie, da Herr Bulemann niemals die unteren Zimmer betrat, nach und nach die ihres kostbaren Inhalts beraubten gro?en Nu?baumschr?nke anfüllte.
So mochten etwa zehn Jahre verflossen sein. Herr Bulemann wurde immer hagerer und grauer, sein gelbgeblümter Schlafrock immer fadenscheiniger. Dabei vergingen oft Tage, ohne da? er den Mund zum Sprechen ge?ffnet h?tte; denn er sah keine lebenden Wesen als die beiden Katzen und seine alte halb kindische Haush?lterin. Nur mitunter, wenn er h?rte, da? unten die Nachbarskinder auf den Prellsteinen vor seinem Haus ritten, steckte er den Kopf ein wenig aus dem Fenster und schalt mit seiner scharfen Stimme in die Gasse hinab.
"Der Seelenverk?ufer, der Seelenverk?ufer!" schrieen dann die Kinder und stoben auseinander. Herr Bulemann aber fluchte und schimpfte noch ingrimmiger, bis er endlich schmetternd das Fenster zuschlug und drinnen Graps und Schnores seinen Zorn entgelten lie?.
Um jede Verbindung mit der Nachbarschaft auszuschlie?en, mu?te Frau Anken schon seit geraumer Zeit ihre Wirtschaftseink?ufe in entlegenen Stra?en machen. Sie durfte jedoch erst mit dem Eintritt der Dunkelheit ausgehen und mu?te dann die Haustür hinter sich verschlie?en.
Es mochte acht Tage vor Weihnachten sein, als die Alte wiederum eines Abends zu solchem Zwecke das Haus verlassen hatte. Trotz ihrer sonstigen Sorgfalt mu?te sie sich indessen diesmal einer Vergessenheit schuldig gemacht haben. Denn als Herr Bulemann eben mit dem Schwefelholz sein Talglicht angezündet hatte, h?rte er zu seiner Verwunderung es drau?en auf den Stiegen poltern, und als er mit vorgehaltenem Licht auf den Flur hinaustrat, sah er seine Halbschwester mit einem bleichen Knaben vor sich stehen.
"Wie seid ihr ins Haus gekommen?" herrschte er sie an, nachdem er sie einen Augenblick erstaunt und ingrimmig angestarrt hatte. "Die Tür war offen unten", sagte die Frau schüchtern.
Er murmelte einen Fluch auf seine Wirtschafterin zwischen den Z?hnen. "Was willst du?" fragte er dann.
"Sei doch nicht so hart, Bruder", bat die Frau, "ich habe sonst nicht den Mut zu dir zu sprechen."
"Ich wü?te nicht, was du mit mir zu sprechen h?ttest; du hast dein Teil bekommen; wir sind fertig miteinander."
Die Schwester stand schweigend vor ihm und suchte vergebens nach dem rechten Worte.
Drinnen wurde wiederholt ein Kratzen an der Stubentür vernehmbar. Als Herr Bulemann zurückgelangt und die Tür ge?ffnet hatte, sprangen die beiden gro?en Katzen auf den Flur hinaus und strichen spinnend an dem blassen Knaben herum, der sich furchtsam vor ihnen an die Wand zurückzog. Ihr Herr betrachtete ungeduldig die noch immer schweigend vor ihm stehende Frau. "Nun, wird's bald?" fragte er.
"Ich wollte dich um etwas bitten, Daniel", hub sie endlich an. "Dein Vater hat ein paar Jahre vor seinem Tod, da ich in bitterster Not war, ein silbern Becherlein von mir in Pfand genommen."
"Mein Vater von dir?" fragte Herr Bulemann.
"Ja, Daniel, dein Vater; der Mann von unser beiden Mutter. Hier ist der Pfandschein; er hat mir nicht zu viel darauf gegeben."
"Weiter!" sagte Herr Bulemann, der mit raschem Blick die leeren H?nde seiner Schwester gemustert hatte.
"Vor einiger Zeit", fuhr sie zaghaft fort, "tr?umte mir, ich gehe mit meinem kranken Kind auf dem Kirchhof. Als wir an das Grab unserer Mutter kamen, sa? sie auf ihrem Grabstein unter einem Busch voll blühender wei?er Rosen. Sie hatte jenen kleinen Becher in der Hand, den ich einst als Kind von ihr geschenkt erhalten; als wir aber n?her gekommen waren, setzte sie ihn an die Lippen; und indem sie dem Knaben l?chelnd zunickte, h?rte ich sie deutlich sagen: 'Zur Gesundheit!' Es war ihre sanfte Stimme, Daniel, wie im Leben; und diesen Traum habe ich drei N?chte nacheinander getr?umt."
"Was soll das?" fragte Herr Bulemann.
"Gib mir den Becher zurück, Bruder! Das Christfest ist nahe; leg ihn dem kranken Kind auf seinen leeren Weihnachtsteller!"
Der hagere Mann in seinem gelbgeblümten Schlafrock stand regungslos vor ihr und betrachtete sie mit seinen grellen runden Augen. "Hast du das Geld bei dir?" fragte er. "Mit Tr?umen l?st man
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