Sie reiben Ihre Finger wie
verrückt an meiner Wand. Mein Zimmer, meine Wand! Und außerdem
ist das, was Sie sagen, lächerlich, nicht nur frech. Sie sagen, Ihre Natur
zwinge Sie, mit mir in dieser Weise zu reden. Wirklich? Ihre Natur
zwingt Sie? Das ist nett von Ihrer Natur. Ihre Natur ist meine, und
wenn ich mich von Natur aus freundlich zu Ihnen verhalte, so dürfen
auch Sie nicht anders.«
»Ist das freundlich?«
»Ich rede von früher.«
»Wissen Sie, wie ich später sein werde?«
»Nichts weiß ich.«
Und ich ging zum Nachttisch hin, auf dem ich die Kerze anzündete. Ich
hatte in jener Zeit weder Gas noch elektrisches Licht in meinem
Zimmer. Ich saß dann noch eine Weile beim Tisch, bis ich auch dessen
müde wurde, den Überzieher anzog, den Hut vom Kanapee nahm und
die Kerze ausblies. Beim Hinausgehen verfing ich mich in ein
Sesselbein.
Auf der Treppe traf ich einen Mieter aus dem gleichen Stockwerk.
»Sie gehen schon wieder weg, Sie Lump?« fragte er, auf seinen über
zwei Stufen ausgebreiteten Beinen ausruhend.
»Was soll ich machen?« sagte ich, »jetzt habe ich ein Gespenst im
Zimmer gehabt.«
»Sie sagen das mit der gleichen Unzufriedenheit, wie wenn Sie ein
Haar in der Suppe gefunden hätten.«
»Sie spaßen. Aber merken Sie sich, ein Gespenst ist ein Gespenst.«
»Sehr wahr. Aber wie, wenn man überhaupt nicht an Gespenster
glaubt?«
»Ja meinen Sie denn, ich glaube an Gespenster? Was hilft mir aber
dieses Nichtglauben?«
»Sehr einfach. Sie müssen eben keine Angst mehr haben, wenn ein
Gespenst wirklich zu Ihnen kommt.«
»Ja, aber das ist doch die nebensächliche Angst. Die eigentliche Angst
ist die Angst vor der Ursache der Erscheinung. Und diese Angst bleibt.
Die habe ich geradezu großartig in mir.« Ich fing vor Nervosität an, alle
meine Taschen zu durchsuchen.
»Da Sie aber vor der Erscheinung selbst keine Angst hatten, hätten Sie
sie doch ruhig nach ihrer Ursache fragen können!«
»Sie haben offenbar noch nie mit Gespenstern gesprochen. Aus denen
kann man ja niemals eine klare Auskunft bekommen. Das ist ein
Hinundher. Diese Gespenster scheinen über ihre Existenz mehr im
Zweifel zu sein, als wir, was übrigens bei ihrer Hinfälligkeit kein
Wunder ist.«
»Ich habe aber gehört, daß man sie auffüttern kann.«
»Da sind Sie gut berichtet. Das kann man. Aber wer wird das
machen?«
»Warum nicht? Wenn es ein weibliches Gespenst ist z. B.« sagte er und
schwang sich auf die obere Stufe.
»Ach so«, sagte ich, »aber selbst dann steht es nicht dafür.«
Ich besann mich. Mein Bekannter war schon so hoch, daß er sich, um
mich zu sehen, unter einer Wölbung des Treppenhauses vorbeugen
mußte. »Aber trotzdem«, rief ich, »wenn Sie mir dort oben mein
Gespenst wegnehmen, dann ist es zwischen uns aus, für immer.«
»Aber das war ja nur Spaß«, sagte er und zog den Kopf zurück.
»Dann ist es gut«, sagte ich und hätte jetzt eigentlich ruhig spazieren
gehen können. Aber weil ich mich gar so verlassen fühlte, ging ich
lieber hinauf und legte mich schlafen.
End of the Project Gutenberg EBook of Betrachtung, by Franz Kafka
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