Betrachtung

Franz Kafka
Betrachtung, by Franz Kafka

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Title: Betrachtung
Author: Franz Kafka
Release Date: November 18, 2007 [EBook #23532]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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BETRACHTUNG ***

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FRANZ KAFKA
BETRACHTUNG

MDCCCCXIII
ERNST ROWOHLT VERLAG
LEIPZIG

Dies Buch wurde in 800 numerierten Exemplaren im November 1912
von der Offizin Poeschel & Trepte gedruckt No.
Copyright 1912 by Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig

Für M. B.

INHALT
Kinder auf der Landstraße 1
Entlarvung eines Bauernfängers 17
Der plötzliche Spaziergang 27
Entschlüsse 32
Der Ausflug ins Gebirge 36
Das Unglück des Junggesellen 39
Der Kaufmann 42
Zerstreutes Hinausschaun 51
Der Nachhauseweg 53
Die Vorüberlaufenden 56

Der Fahrgast 59
Kleider 63
Die Abweisung 66
Zum Nachdenken für Herrenreiter 70
Das Gassenfenster 75
Wunsch, Indianer zu werden 77
Die Bäume 79
Unglücklichsein 80

Kinder auf der Landstraße
Ich hörte die Wagen an dem Gartengitter vorüberfahren, manchmal sah
ich sie auch durch die schwach bewegten Lücken im Laub. Wie krachte
in dem heißen Sommer das Holz in ihren Speichen und Deichseln!
Arbeiter kamen von den Feldern und lachten, daß es eine Schande war.
Ich saß auf unserer kleinen Schaukel, ich ruhte mich gerade aus
zwischen den Bäumen im Garten meiner Eltern.
Vor dem Gitter hörte es nicht auf. Kinder im Laufschritt waren im
Augenblick vorüber; Getreidewagen mit Männern und Frauen auf den
Garben und rings herum verdunkelten die Blumenbeete; gegen Abend
sah ich einen Herrn mit einem Stock langsam spazieren gehn und paar
Mädchen, die Arm in Arm ihm entgegenkamen, traten grüßend ins
seitliche Gras.
Dann flogen Vögel wie sprühend auf, ich folgte ihnen mit den Blicken,
sah, wie sie in einem Atemzug stiegen, bis ich nicht mehr glaubte, daß
sie stiegen, sondern daß ich falle, und fest mich an den Seilen haltend
aus Schwäche ein wenig zu schaukeln anfing. Bald schaukelte ich

stärker, als die Luft schon kühler wehte und statt der fliegenden Vögel
zitternde Sterne erschienen.
Bei Kerzenlicht bekam ich mein Nachtmahl. Oft hatte ich beide Arme
auf der Holzplatte und, schon müde, biß ich in mein Butterbrot. Die
stark durchbrochenen Vorhänge bauschten sich im warmen Wind, und
manchmal hielt sie einer, der draußen vorüberging, mit seinen Händen
fest, wenn er mich besser sehen und mit mir reden wollte. Meistens
verlöschte die Kerze bald und in dem dunklen Kerzenrauch trieben sich
noch eine Zeitlang die versammelten Mücken herum. Fragte mich einer
vom Fenster aus, so sah ich ihn an, als schaue ich ins Gebirge oder in
die bloße Luft, und auch ihm war an einer Antwort nicht viel gelegen.
Sprang dann einer über die Fensterbrüstung und meldete, die anderen
seien schon vor dem Haus, so stand ich freilich seufzend auf.
»Nein, warum seufzst Du so? Was ist denn geschehn? Ist es ein
besonderes, nie gut zu machendes Unglück? Werden wir uns nie davon
erholen können? Ist wirklich alles verloren?«
Nichts war verloren. Wir liefen vor das Haus. »Gott sei Dank, da seid
Ihr endlich!« -- »Du kommst halt immer zu spät!« -- »Wieso denn
ich?« -- »Gerade Du, bleib zu Hause, wenn Du nicht mitwillst.« --
»Keine Gnaden!« -- »Was? Keine Gnaden? Wie redest Du?«
Wir durchstießen den Abend mit dem Kopf. Es gab keine Tages- und
keine Nachtzeit. Bald rieben sich unsere Westenknöpfe aneinander wie
Zähne, bald liefen wir in gleichbleibender Entfernung, Feuer im Mund,
wie Tiere in den Tropen. Wie Kürassiere in alten Kriegen, stampfend
und hoch in der Luft, trieben wir einander die kurze Gasse hinunter und
mit diesem Anlauf in den Beinen die Landstraße weiter hinauf.
Einzelne traten in den Straßengraben, kaum verschwanden sie vor der
dunklen Böschung, standen sie schon wie fremde Leute oben auf dem
Feldweg und schauten herab.
»Kommt doch herunter!« -- »Kommt zuerst herauf!« -- »Damit Ihr uns
herunterwerfet, fällt uns nicht ein, so gescheit sind wir noch.« -- »So
feig seid Ihr, wollt Ihr sagen. Kommt nur, kommt!« -- »Wirklich? Ihr?

Gerade Ihr werdet uns hinunterwerfen? Wie müßtet Ihr aussehen?«
Wir machten den Angriff, wurden vor die Brust gestoßen und legten
uns in das Gras des Straßengrabens, fallend und freiwillig. Alles war
gleichmäßig erwärmt, wir spürten nicht Wärme, nicht Kälte im Gras,
nur müde wurde man.
Wenn man sich auf die rechte Seite drehte, die Hand unters Ohr gab, da
wollte man gerne einschlafen. Zwar wollte man sich noch einmal
aufraffen mit erhobenem Kinn, dafür aber in einen tieferen Graben
fallen. Dann wollte man, den Arm quer vorgehalten, die Beine
schiefgeweht, sich gegen die
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