Belagerung von Mainz | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
eine Punktation, worüber verhandelt wird.
Nachts vom 21. auf den 22. Juli. Heftiges Bombardement, die Dominikanerkirche geht in Flammen auf, dagegen fliegt ein preu?isches Laboratorium in die Luft.
Den 22. Juli. Als man vernahm, der Stillstand sei wirklich geschlossen, eilte man nach dem Hauptquartier, um die Ankunft des franz?sischen Kommandanten d'Oyré zu erwarten. Er kam: ein gro?er wohlgebauter, schlanker Mann von mittlern Jahren, sehr natürlich in seiner Haltung und Betragen. Indessen die Unterhaltung im Innern vorging, waren wir alle aufmerksam und hoffnungsvoll; da es aber ausgesprochen ward, da? man einig geworden und die Stadt den folgenden Tag übergeben werden sollte, da entstand in mehreren das wunderbare Gefühl einer schnellen Entledigung von bisherigen Lasten, von Druck und Bangigkeit, da? einige Freunde sich nicht erwehren konnten, aufzusitzen und gegen Mainz zu reiten. Unterwegs holten wir S?mmerring ein, der gleichfalls mit einem Gesellen nach Mainz eilte, freilich auf st?rkere Veranlassung als wir, aber doch auch die Gefahr einer solchen Unternehmung nicht achtend. Wir sahen den Schlagbaum des ?u?ersten Tores von fern und hinter demselben eine gro?e Masse Menschen, die sich dort auflehnten und andr?ngten. Nun sahen wir Wolfsgruben vor uns, allein unsere Pferde, dergleichen schon gewohnt, brachten uns glücklich zwischen durch. Wir ritten unmittelbar bis vor den Schlagbaum; man rief uns zu: was wir br?chten? Unter der Menge fanden sich wenig Soldaten, alles Bürger, M?nner und Frauen; unsere Antwort, da? wir Stillstand und wahrscheinlich morgen Freiheit und ?ffnung verspr?chen, wurde mit lautem Beifall aufgenommen. Wir gaben einander wechselsweise so viel Aufkl?rung, als einem jeden beliebte, und als wir eben von Segenswünschen begleitet wieder umkehren wollten, traf S?mmering ein, der sein Gespr?ch an das unsrige knüpfte, bekannte Gesichter fand, sich vertraulicher unterhielt und zuletzt verschwand, ehe wir's uns versahen; wir aber hielten für Zeit, umzukehren.
Gleiche Begierde, gleiches Bestreben fühlten eine Anzahl Ausgewanderte, welche, mit Viktualien versehen, erst in die Au?enwerke, dann in die Festung selbst einzudringen verstanden, um die Zurückgelassenen wieder zu umarmen und zu erquicken. Wir begegneten mehreren solcher leidenschaftlichen Wanderer, und es mochte dieser Zustand so heftig werden, da? endlich, nach verdoppelten Posten, das strengste Verbot ausging, den W?llen sich zu n?hern; die Kommunikation war auf einmal unterbrochen.
Am 23. Juli. Dieser Tag ging hin unter Besetzung der Au?enwerke sowohl von Mainz als von Kastel. In einer leichten Chaise machte ich eine Spazierfahrt, in einem so engen Kreis um die Stadt, als es die ausgesetzten Wachen erlauben wollten. Man besuchte die Trancheen und besah sich die nach erreichtem Zweck verlassene unnütze Erdarbeit.
Als ich zurückfuhr, rief mich ein Mann mittleren Alters an und bat mich, seinen Knaben von ungef?hr acht Jahren, den er an der Hand mit fortschleppte, zu mir zu nehmen. Er war ein ausgewanderter Mainzer, welcher, mit gro?er Hast und Lust seinen bisherigen Aufenthalt verlassend, herbeilief, den Auszug der Feinde triumphierend anzusehen, sodann aber den zurückgelassenen Klubisten Tod und Verderben zu bringen schwor. Ich redete ihm begütigende Worte zu und stellte ihm vor: da? die Rückkehr in einen friedlichen und h?uslichen Zustand nicht mit neuem bürgerlichen Krieg, Ha? und Rache müsse verunreinigt werden, weil sich das Unglück ja sonst verewige. Die Bestrafung solcher schuldigen Menschen müsse man den hohen Alliierten und dem wahren Landesherrn nach seiner Rückkehr überlassen, und was ich sonst noch Bes?nftigendes und Ernstliches anführte; wozu ich ein Recht hatte, indem ich das Kind in den Wagen nahm und beide mit einem Trunk guten Weins und Bretzeln erquickte. An einem abgeredeten Ort setzt' ich den Knaben nieder, da sich denn der Vater schon von weitem zeigte und mit dem Hut mir tausend Dank und Segen zuwinkte.
Den 24. Juli. Der Morgen ging ziemlich ruhig hin, der Ausmarsch verz?gerte sich, es sollten Geldangelegenheiten sein, die man so bald nicht abtun k?nne. Endlich zu Mittag, als alles bei Tisch und Topf besch?ftigt und eine gro?e Stille im Lager sowie auf der Chaussee war, fuhren mehrere dreisp?nnige Wagen, in einiger Ferne voneinander, sehr schnell vorbei, ohne da? man sich's versah und darüber nachsann; doch bald verbreitete sich das Gerücht: auf diese kühne und kluge Weise h?tten mehrere Klubisten sich gerettet. Leidenschaftliche Personen behaupteten, man müsse nachsetzen, andere lie?en es beim Verdru? bewenden, wieder andere wollten sich verwundern: da? auf dem ganzen Wege keine Spur von Wache, noch Pikett, noch Aufsicht erscheine; woraus erhelle, sagten sie, da? man von oben herein durch die Finger zu sehen und alles, was sich ereignen k?nnte, dem Zufall zu überlassen geneigt sei.
Diese Betrachtungen jedoch wurden durch den wirklichen Auszug unterbrochen und umgestimmt. Auch hier kamen mir und Freunden die Fenster des Chausseehauses zustatten. Den Zug sahen wir in aller seiner Feierlichkeit herankommen. Angeführt durch preu?ische Reiterei, folgte zuerst die franz?sische Garnison. Seltsamer war nichts, als wie sich dieser Zug ankündigte; eine Kolonne Marseiller, klein, schwarz, buntscheckig, lumpig gekleidet, trappelten heran, als habe der K?nig Edwin seinen Berg aufgetan und das muntere Zwergenheer ausgesendet. Hierauf folgten regelm??igere Truppen, ernst und verdrie?lich, nicht
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 18
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.