Belagerung von Mainz | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
bezog dessen Quartier im Chauseehause; es
war kein anmutigerer Aufenthalt zu denken.
Nach herkömmlicher Ordnungs- und Reinlichkeitsliebe ließ ich den
schönen Platz davor kehren und reinigen, der bei dem schnellen
Quartierwechsel mit Stroh und Spänen und allerlei Abwürflingen eines
eilig verlassenen Kantonnements übersäet war.
Den 18. Juli nachmittags auf große, fast unerträgliche Hitze

Donnerwetter, Sturm und Regenguß, dem Allgemeinen erquicklich,
den Eingegrabenen als solchen freilich sehr lästig.
Der Kommandant tut Vergleichsvorschläge, welche zurückgewiesen
werden.
Den 19. Juli. Das Bombardement geht fort, die Rheinmühlen werden
beschädigt und unbrauchbar gemacht.
Den 20. Juli. Der Kommandant General d'Oyré überschickt eine
Punktation, worüber verhandelt wird.
Nachts vom 21. auf den 22. Juli. Heftiges Bombardement, die
Dominikanerkirche geht in Flammen auf, dagegen fliegt ein
preußisches Laboratorium in die Luft.
Den 22. Juli. Als man vernahm, der Stillstand sei wirklich geschlossen,
eilte man nach dem Hauptquartier, um die Ankunft des französischen
Kommandanten d'Oyré zu erwarten. Er kam: ein großer wohlgebauter,
schlanker Mann von mittlern Jahren, sehr natürlich in seiner Haltung
und Betragen. Indessen die Unterhaltung im Innern vorging, waren wir
alle aufmerksam und hoffnungsvoll; da es aber ausgesprochen ward,
daß man einig geworden und die Stadt den folgenden Tag übergeben
werden sollte, da entstand in mehreren das wunderbare Gefühl einer
schnellen Entledigung von bisherigen Lasten, von Druck und
Bangigkeit, daß einige Freunde sich nicht erwehren konnten,
aufzusitzen und gegen Mainz zu reiten. Unterwegs holten wir
Sömmerring ein, der gleichfalls mit einem Gesellen nach Mainz eilte,
freilich auf stärkere Veranlassung als wir, aber doch auch die Gefahr
einer solchen Unternehmung nicht achtend. Wir sahen den Schlagbaum
des äußersten Tores von fern und hinter demselben eine große Masse
Menschen, die sich dort auflehnten und andrängten. Nun sahen wir
Wolfsgruben vor uns, allein unsere Pferde, dergleichen schon gewohnt,
brachten uns glücklich zwischen durch. Wir ritten unmittelbar bis vor
den Schlagbaum; man rief uns zu: was wir brächten? Unter der Menge
fanden sich wenig Soldaten, alles Bürger, Männer und Frauen; unsere
Antwort, daß wir Stillstand und wahrscheinlich morgen Freiheit und
Öffnung versprächen, wurde mit lautem Beifall aufgenommen. Wir

gaben einander wechselsweise so viel Aufklärung, als einem jeden
beliebte, und als wir eben von Segenswünschen begleitet wieder
umkehren wollten, traf Sömmering ein, der sein Gespräch an das
unsrige knüpfte, bekannte Gesichter fand, sich vertraulicher unterhielt
und zuletzt verschwand, ehe wir's uns versahen; wir aber hielten für
Zeit, umzukehren.
Gleiche Begierde, gleiches Bestreben fühlten eine Anzahl
Ausgewanderte, welche, mit Viktualien versehen, erst in die
Außenwerke, dann in die Festung selbst einzudringen verstanden, um
die Zurückgelassenen wieder zu umarmen und zu erquicken. Wir
begegneten mehreren solcher leidenschaftlichen Wanderer, und es
mochte dieser Zustand so heftig werden, daß endlich, nach
verdoppelten Posten, das strengste Verbot ausging, den Wällen sich zu
nähern; die Kommunikation war auf einmal unterbrochen.
Am 23. Juli. Dieser Tag ging hin unter Besetzung der Außenwerke
sowohl von Mainz als von Kastel. In einer leichten Chaise machte ich
eine Spazierfahrt, in einem so engen Kreis um die Stadt, als es die
ausgesetzten Wachen erlauben wollten. Man besuchte die Trancheen
und besah sich die nach erreichtem Zweck verlassene unnütze
Erdarbeit.
Als ich zurückfuhr, rief mich ein Mann mittleren Alters an und bat
mich, seinen Knaben von ungefähr acht Jahren, den er an der Hand mit
fortschleppte, zu mir zu nehmen. Er war ein ausgewanderter Mainzer,
welcher, mit großer Hast und Lust seinen bisherigen Aufenthalt
verlassend, herbeilief, den Auszug der Feinde triumphierend anzusehen,
sodann aber den zurückgelassenen Klubisten Tod und Verderben zu
bringen schwor. Ich redete ihm begütigende Worte zu und stellte ihm
vor: daß die Rückkehr in einen friedlichen und häuslichen Zustand
nicht mit neuem bürgerlichen Krieg, Haß und Rache müsse
verunreinigt werden, weil sich das Unglück ja sonst verewige. Die
Bestrafung solcher schuldigen Menschen müsse man den hohen
Alliierten und dem wahren Landesherrn nach seiner Rückkehr
überlassen, und was ich sonst noch Besänftigendes und Ernstliches
anführte; wozu ich ein Recht hatte, indem ich das Kind in den Wagen

nahm und beide mit einem Trunk guten Weins und Bretzeln erquickte.
An einem abgeredeten Ort setzt' ich den Knaben nieder, da sich denn
der Vater schon von weitem zeigte und mit dem Hut mir tausend Dank
und Segen zuwinkte.
Den 24. Juli. Der Morgen ging ziemlich ruhig hin, der Ausmarsch
verzögerte sich, es sollten Geldangelegenheiten sein, die man so bald
nicht abtun könne. Endlich zu Mittag, als alles bei Tisch und Topf
beschäftigt und eine große Stille im Lager sowie auf der Chaussee war,
fuhren mehrere dreispännige Wagen, in einiger Ferne voneinander, sehr
schnell vorbei, ohne daß man sich's versah und darüber nachsann; doch
bald verbreitete sich das Gerücht: auf diese kühne und kluge Weise
hätten mehrere Klubisten sich gerettet. Leidenschaftliche Personen
behaupteten, man müsse nachsetzen, andere ließen es beim Verdruß
bewenden, wieder andere wollten sich verwundern: daß auf dem
ganzen Wege keine Spur von Wache, noch Pikett, noch Aufsicht
erscheine; woraus erhelle, sagten sie, daß man
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