Ausgewaehlte Schriften | Page 9

Heinrich von Kleist

Don Fernando, dieser göttliche Held, stand jetzt, den Rücken an die
Kirche gelehnt; in der Linken hielt er die Kinder, in der Rechten das
Schwert. Mit jedem Hiebe wetterstrahlte er einen zu Boden; ein Löwe
wehrt sich nicht besser. Sieben Bluthunde lagen tot vor ihm, der Fürst
der satanischen Rotte selbst war verwundet. Doch Meister Pedrillo
ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von seiner
Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines
Kirchpfeilers Ecke zerschmettert hatte. Hierauf ward es still, und alles
entfernte sich. Don Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen
sah, mit aus dem Hirne vorquellenden Mark, hob, voll namenlosen
Schmerzes, seine Augen gen Himmel.
Der Marine-Offizier fand sich wieder bei ihm ein, suchte ihn zu trösten,
und versicherte ihn, daß seine Untätigkeit bei diesem Unglück, obschon
durch mehrere Umstände gerechtfertigt, ihn reue; doch Don Fernando
sagte, daß ihm nichts vorzuwerfen sei, und bat ihn nur, die Leichname
jetzt fortschaffen zu helfen. Man trug sie alle, bei der Finsternis der
einbrechenden Nacht, in Don Alonzos Wohnung, wohin Don Fernando
ihnen, viel über das Antlitz des kleinen Philipp weinend, folgte. Er
übernachtete auch bei Don Alonzo, und säumte lange, unter falschen
Vorspiegelungen, seine Gemahlin von dem ganzen Umfang des
Unglücks zu unterrichten; einmal, weil sie krank war, und dann, weil er
auch nicht wußte, wie sie sein Verhalten bei dieser Begebenheit
beurteilen würde; doch kurze Zeit nachher, durch einen Besuch zufällig
von allem, was geschehen war, benachrichtigt, weinte diese treffliche
Dame im Stillen ihren mütterlichen Schmerz aus, und fiel ihm mit dem
Rest einer erglänzenden Träne eines Morgens um den Hals und küßte
ihn. Don Fernando und Donna Elvire nahmen hierauf den kleinen
Fremdling zum Pflegesohn an; und wenn Don Fernando Philippen mit

Juan verglich, und wie er beide erworben hatte, so war es ihm fast, als
müßt er sich freuen.

Der Findling
Antonio Piachi, ein wohlhabender Güterhändler in Rom, war genötigt,
in seinen Handelsgeschäften zuweilen große Reisen zu machen. Er
pflegte dann gewöhnlich Elvire, seine junge Frau, unter dem Schutz
ihrer Verwandten, daselbst zurückzulassen. Eine dieser Reisen führte
ihn mit seinem Sohn Paolo, einem eilfjährigen Knaben, den ihm seine
erste Frau geboren hatte, nach Ragusa. Es traf sich, daß hier eben eine
pestartige Krankheit ausgebrochen war, welche die Stadt und Gegend
umher in großes Schrecken setzte. Piachi, dem die Nachricht davon erst
auf der Reise zu Ohren gekommen war, hielt in der Vorstadt an, um
sich nach der Natur derselben zu erkundigen. Doch da er hörte, daß das
Übel von Tage zu Tage bedenklicher werde, und daß man damit
umgehe, die Tore zu sperren; so überwand die Sorge für seinen Sohn
alle kaufmännischen Interessen: er nahm Pferde und reisete wieder ab.
Er bemerkte, da er im Freien war, einen Knaben neben seinem Wagen,
der, nach Art der Flehenden, die Hände zu ihm ausstreckte und in
großer Gemütsbewegung zu sein schien. Piachi ließ halten; und auf die
Frage: was er wolle? antwortete der Knabe in seiner Unschuld: er sei
angesteckt; die Häscher verfolgten ihn, um ihn ins Krankenhaus zu
bringen, wo sein Vater und seine Mutter schon gestorben wären; er
bitte um aller Heiligen willen, ihn mitzunehmen, und nicht in der Stadt
umkommen zu lassen. Dabei faßte er des Alten Hand, drückte und
küßte sie und weinte darauf nieder. Piachi wollte in der ersten Regung
des Entsetzens, den Jungen weit von sich schleudern; doch da dieser, in
eben diesem Augenblick, seine Farbe veränderte und ohnmächtig auf
den Boden niedersank, so regte sich des guten Alten Mitleid: er stieg
mit seinem Sohn aus, legte den Jungen in den Wagen, und fuhr mit ihm
fort, obschon er auf der Welt nicht wußte, was er mit demselben
anfangen sollte.
Er unterhandelte noch, in der ersten Station, mit den Wirtsleuten, über

die Art und Weise, wie er seiner wieder los werden könne: als er schon
auf Befehl der Polizei, welche davon Wind bekommen hatte, arretiert
und unter einer Bedeckung, er, sein Sohn und Nicolo, so hieß der
kranke Knabe, wieder nach Ragusa zurück transportiert ward. Alle
Vorstellungen von Seiten Piachis, über die Grausamkeit dieser
Maßregel, halfen zu nichts; in Ragusa angekommen, wurden nunmehr
alle drei, unter Aufsicht eines Häschers, nach dem Krankenhause
abgeführt, wo er zwar, Piachi, gesund blieb, und Nicolo, der Knabe,
sich von dem Übel wieder erholte: sein Sohn aber, der eilfjährige Paolo,
von demselben angesteckt ward, und in drei Tagen starb.
Die Tore wurden nun wieder geöffnet und Piachi, nachdem er seinen
Sohn begraben hatte, erhielt von der Polizei Erlaubnis, zu reisen. Er
bestieg eben, sehr von Schmerz bewegt, den Wagen und nahm, bei dem
Anblick des Platzes, der neben ihm leer blieb, sein Schnupftuch heraus,
um seine Tränen fließen zu lassen: als Nicolo, mit der Mütze in der
Hand, an seinen Wagen trat und ihm eine glückliche Reise wünschte.
Piachi beugte
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