Ausgewählte Fabeln | Page 8

Gotthold Ephraim Lessing
den wilden, m?rderischen Raubtieren nichts gemein haben."
"Soll ich deinen Mund mit Giftwerkzeugen wappnen?" Das Schaf wich bei dieser Vorstellung einen Schritt zurück. "Bitte nicht, gn?diger Herrscher, die Giftnattern werden ja überall so sehr geha?t."
"Nun, was willst du dann haben?" fragte Jupiter geduldig. "Ich k?nnte H?rner auf deine Stirn pflanzen, würde dir das gefallen?"
"Auch das bitte nicht", wehrte das Schaf schüchtern ab, "mit meinem Geh?rn k?nnte ich so streitsüchtig oder gewaltt?tig werden wie ein Bock."
"Mein liebes Schaf", belehrte Jupiter sein sanftmütiges Gesch?pf, "wenn du willst, da? andere dir keinen Schaden zufügen, so mu?t du gezwungenerweise selber schaden k?nnen."
"Mu? ich das?" seufzte das Schaf und wurde nachdenklich. Nach einer Weile sagte es: "Gütiger Vater, la? mich doch lieber so sein, wie ich bin. Ich fürchte, da? ich die Waffen nicht nur zur Verteidigung gebrauchen würde, sondern da? mit der Kraft und den Waffen zugleich auch die Lust zum Angriff erwacht."
Jupiter warf einen liebevollen Blick auf das Schaf, und es trabte in das Gebirge zurück. Von dieser Stunde an klagte das Schaf nie mehr über sein Schicksal.

Merops
"Ich mu? dich doch etwas fragen", sprach ein junger Adler zu einem tiefsinnigen grundgelehrten Uhu. "Man sagt, es g?be einen Vogel mit Namen Merops, der, wenn er in die Luft steige, mit dem Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde gekehrt, fliege. Ist das wahr?"
"Ei nicht doch!" antwortete der Uhu; "das ist eine alberne Erdichtung des Menschen. Er mag selbst ein solcher Merops sein, weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen m?chte, ohne die Erde auch nur einen Augenblick aus dem Gesichte zu verlieren."

Minerva
La? sie doch, Freund! la? sie, die kleinen h?mischen Neider deines wachsenden Ruhmes! Warum will dein Witz ihre der Vergessenheit bestimmte Namen verewigen?
In dem unsinnigen Kriege, welchen die Riesen wider die G?tter führten, stellten die Riesen der Minerva einen schrecklichen Drachen entgegen. Minerva aber ergriff den Drachen und schleuderte ihn mit gewaltiger Hand an das Firmament. Da gl?nzt er noch, und was so oft gro?er Taten Belohnung war, ward des Drachens beneidenswürdige Strafe.

Zeus und das Pferd
"Vater der Tiere und Menschen", so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, "man will, ich sei eines der sch?nsten Gesch?pfe, womit du die Welt geziert, und meine Eigenliebe hei?t es mich glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch verschiedenes an mit zu bessern sein?" "Und was meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme Lehre an", sprach der gute Gott und l?chelte.
"Vielleicht", sprach das Pferd weiter, "würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine h?her und schm?chtiger w?ren; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust wurde meine St?rke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so k?nnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohlt?tige Reiter auflegt."
"Gut", versetzte Zeus, "gedulde dich einen Augenblick!" Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Sch?pfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisierter Stoff; und pl?tzlich stand vor dem Throne--das h??liche Kamel.
Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.
"Hier sind h?here und m?chtigere Beine", sprach Zeus; "hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine breite Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, da? ich dich so umbilden soll?"
Das Pferd zitterte noch.
"Geh", fuhr Zeus fort; "dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Gesch?pf"--Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das Kamel--"und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern."

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Ausgew?hlte Fabeln, von Gotthold Ephraim Lessing.

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