Ausgewählte Fabeln | Page 3

Gotthold Ephraim Lessing
ihm durch seine fürchterliche Stimme die Tiere sollte jagen helfen, nach dem Walde ging, rief ihm eine naseweise Kr?he von dem Baume zu: "Ein sch?ner Gesellschafter! Sch?mst du dich nicht, mit einem Esel zu gehen?"--"Wen ich brauchen kann", versetzte der L?we, "dem kann ich ja wohl meine Seite g?nnen."
So denken die Gro?en alle, wenn sie einen Niedrigen ihrer Gemeinschaft würdigen.

Der L?we und der Hase
Ein L?we würdigte einen drolligen Hasen seiner n?heren Bekanntschaft. "Aber ist es denn wahr", fragte ihn einst der Hase, "da? euch L?wen ein elender kr?hender Hahn so leicht verjagen kann?"
"Allerdings ist es wahr", antwortete der L?we; "und es ist eine allgemeine Anmerkung, da? wir gro?en Tiere durchg?ngig eine gewisse kleine Schwachheit an uns haben. So wirst du, zum Exempel, von dem Elefanten geh?rt haben, da? ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und Entsetzen erwecket."
"Wahrhaftig?" unterbrach ihn der Hase. "Ja, nun begreif' ich auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden fürchten."

Der Pelikan
Für wohlgeratene Kinder k?nnen Eltern nicht zu viel tun. Aber wenn sich ein bl?der Vater für einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen zapft, dann wird Liebe zur Torheit.
Ein frommer Pelikan, da er seine Jungen schmachten sah, ritzte sich mit scharfem Schnabel die Brust auf und erquickte sie mit seinem Blute. "Ich bewundere deine Z?rtlichkeit", rief ihm ein Adler zu, "und bejammere deine Blindheit. Sieh doch, wie manchen nichtswürdigen Kuckuck du unter deinen Jungen mit ausgebrütet hast!"
So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte der kalte Kuckuck seine Eier untergeschoben.--Waren es undankbare Kuckucke wert, da? ihr Leben so teuer erkauft wurde?

Der Ph?nix
Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Ph?nix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien, und alle Tiere und V?gel versammelten sich um ihn. Sie gafften, sie staunten, sie bewunderten und brachen in entzückendes Lob aus.
Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke und seufzten: "Der unglückliche Ph?nix! Ihm ward das harte Los, weder Geliebte noch Freunde zu haben; denn er ist der einzige seiner Art!"

Der Rabe
Der Rabe bemerkte, da? der Adler ganze drei?ig Tage über seinen Eiern brütete. "Und daher kommt es ohne Zweifel", sprach er, "da? die jungen des Adlers so scharfsichtig und stark werden. Gut! Das will ich auch tun." Und seitdem brütet der Rabe ganze drei?ig Tage über seinen Eiern; aber noch hat er nichts als elende Raben ausgebrütet.

Der Rabe und der Fuchs
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte G?rtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: "Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters!"
--"Für wen siehst du mich an?" fragte der Rabe. "Für wen ich dich ansehe?" erwiderte der Fuchs. "Bist du nicht der rüstige Adler, der t?glich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortf?hrt?"
Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich mu?, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtum nicht bringen. --Gro?mütig dumm lie? er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon.
Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fra? es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte.
M?chtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler!

Der Rangstreit der Tiere
In vier Fabeln
1.
Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. Ihn zu schlichten, sprach das Pferd, "lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner von den streitenden Teilen und kann desto unparteiischer sein."
"Aber hat er auch den Verstand dazu?" lie? sich ein Maulwurf h?ren. "Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere oft tief versteckten Vollkommenheiten zu erkennen."
"Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster.
"Jawohl!" rief auch der Igel. "Ich glaube es nimmermehr, da? der Mensch Scharfsichtigkeit genug besitzt."
"Schweigt ihr!" befahl das Pferd. "Wir wissen es schon: Wer sich auf die Güte seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen."
2.
Der Mensch ward Richter.--"Noch ein Wort", rief ihm der majest?tische L?we zu, "bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Wert bestimmen?"
"Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel", antwortete der Mensch, "in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid."
"Vortrefflich!" versetzte der beleidigte L?we. "Wie weit würde ich alsdann unter dem Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verla? die Versammlung!"
3.
Der Mensch entfernte sich.--"Nun", sprach der h?hnische Maulwurf,-- (und ihm stimmten der Hamster und der Igel wieder bei)--"siehst du, Pferd? der L?we meint es auch, da? der Mensch unser Richter nicht sein kann. Der L?we denkt wie wir."
"Aber aus besseren Gründen als ihr!" sagte der L?we, und warf
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