Aus der Chronika eines fahrenden Schnlers | Page 5

Clemens Brentano
es um Verzeihung bitten, und ging mit dem Gedanken die Treppe hinab in den Garten: Wenn ich ein armer fahrender Schüler gewesen bin, so werde ich immer ein armer fahrender Schüler bleiben; denn auf Erden sind wir alle arm und müssen mannigfach mit unserm Leben herumwandeln, und lernen, und bleiben doch arme Schüler, bis der Herr sich unser erbarmet, und uns einführet durch seinen bittern Tod in das ewige Leben.
Da ich nun in den Garten gekommen war, den ich vorher auch noch nicht gesehen--denn mein gn?diger Herr und Ritter war den Abend sp?t mit mir angekommen und ich im Finstern in mein Stüblein gebracht worden--, konnte ich vor Staunen und Betrachten der neuen Dinge um mich her auch nicht zum Gebete kommen. Ich fand mich von den sch?nen Laubg?ngen, Zierfeldern und Pflanzen und den blühenden B?umen schier ebenso sehr überraschet als von meinem neuen Gewande. Ich fand mich gleich einem neugebornen Kinde, welches mit allem spielet, und noch nicht beten kann, und erst nach einiger Erfahrung in der Sü?igkeit des Lebens seine H?nde zum Danke falten lernet. Der blühende Mal, das lustige Singen der V?gel, die vielen jungen Kr?uter und Blümlein, die mit Taublicken vor der Sonne erwachten, der kühle Wasserstrahl, welcher in einem mit bunten Kieseln und Muscheln ausgelegten Brunnen tanzte, schienen mir alle so neu und wunderbar, als h?tte ich dergleichen niemals gesehen, und wu?te ich auch nicht, was aus allem diesem werden sollte.
So wie die lieben Kinder durch die Blumen gehen und sie brechen, und Kr?nze winden und sich bei den H?nden fassen und mit den Kr?nzen im Kreise tanzen, gleichsam selbst ein lebendiger Blumenkranz; wie sie aber nicht gedenken der Frucht im treibenden Sommer, und der Ernte im reichen Herbst, und des Todes in dem trüben, tiefsinnigen Winter: also wandelte auch ich armer Schelm wie ein einf?ltiges Kind ohne Witz durch den Garten und konnte vor gro?er Bewegung über mein neues Glück, das mir gestern früh noch nicht getr?umt hatte, nicht zum Gebete gelangen.
Mein freudiges Erstaunen wollte aber nicht lange dauern; denn als ich meine Augen ers?ttiget hatte, ward es mir als einem Hungrigen, der sich ohne Gebet zu einer reichlichen Mahlzeit gesetzet hat, welche ihm Gott darum nicht gesegnet. Alle das h?usliche, wohlgepflegte Behagen des sch?nen Ziergartens erfüllte mich mit traurigen Gedanken, und die Armut, die Einsamkeit meines eigenen Lebens trat mir in dieser reichen Umgebung zum erstenmal recht lebendig vor die Seele. Was mag trauriger sein als das Bild eines Bettlers, auf goldnem Grunde gemalet?
"O meine Mutter", sagte ich mir, "wer war sanfter und sch?ner, und feiner und edler als du, wer war würdiger, zwischen Blumen zu wandeln, als du, die wohl ihre Schwester und Gespielin sein konnte? Standen die Tr?nlein nicht auf den Wangen wie die Tautr?pflein auf diesen Rosen, gingst du nicht durch den Wald wie ein Lüftlein durch die Blüten, und waren deine Augen nicht getreu und sü? schauend wie die blauen Veilchen, deine Lippen nicht wie die rosinfarbenen Nelken, und flog dein gelbes Haar nicht wie der Sonnenschein? Aber du mu?test gehen wie Hagar mit deinem Ismael durch die Dornen in der Wüste. Ach, warum ward nicht dir so ein Garten und so ein Haus, und warum wohnest du zwischen fünf Brettern und zwei Brettlein und bist deines Lebens nicht froh geworden noch deines Todes? Sie haben dir keinen Kranz geflochten. Mir aber ist nichts geblieben als deine Zucht, und ich kann dein nicht gedenken in Freuden, denn mir geh?ret nichts als die Armut, und ich habe keinen S?ckel, aus dem ich dir das sch?nste Grab k?nnte erbauen lassen von Marmelstein und Gold."
Wie traurig ward ich da und wendete meine Augen von allem, was ihnen wohlgefiel, und wollte nichts anschauen, weil sie es nicht mit mir sehen konnte, weil sie ihre Augen nie mit so erlaubter Lust erquicken konnte. Auch fiel es mir bittrer noch auf die Seele, da? ich eines Ritters Sohn sei, ohne Wappen und ohne Waffen. Tr?nen füllten mir die Augen, und Unwill erfüllte meinen ganzen Leib, der in dem neuen geschenkten Gewand zu brennen schien, und ich spannte mein enges, durchl?chertes M?ntelein so um mich, da? es noch mehr zerrissen.
So schritt ich, als suche ich die Wildnis, nach einem einsamem ungepflegten Teile des Gartens, und kaum stand ich im hohen Gras unter hohen Linden, so konnte ich schon nicht mehr begreifen, wie dieser innre Schmerz und Zorn in mich zum ersten Male in meinem Leben gekommen sei, und gegen die Mauer des Gartens schreitend, sah ich an derselben in einem tiefen Bogenraum ein Heiligenh?uslein angebracht, darinnen war wohlvergittert ein buntgemaltes Schnitzwerk, die Anbetung der heiligen drei K?nige im Stall zu Bethlehem, aufgestellt. Davor kniete ich nieder ins Gras und betete von ganzem Herzen. Da zerrann bald all mein Leid und meine Hoffart vor dem Sohne Gottes, der nackt und arm in einer Krippe vor mir lag,
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