trotz der Pensionserziehung im Grunde ordinär geblieben.
Auf dem Niveau ihres musikalischen Geschmacks stand ihr ganzes
Seelenleben.
Sie kleidete sich mit einem Hang zum Auffälligen und sah infolge ihrer
Trägheit und Unordnung in jedem neuen Kostüm bald schlampig und
gewöhnlich aus. Gefallsüchtig, trug sie doch eine gewisse Nonchalance
in Betreff ihrer äußern Erscheinung zur Schau. Sie wußte, daß sie
hübsch war und auch ohne tadellose Toilette die Augen der Männer auf
sich zog.
Ihre mittelgroße, wohlproportionierte Figur mit den schwellenden,
etwas zur Ueppigkeit neigenden Formen, der zarte, rosige Teint mit
dem feinen Sommersprossengesprenkel, die zierliche, gerade Nase, die
blauen, eigenartig verschleiert glänzenden Augen, das satte Blond ihrer
Haare und vor allem der sinnlich müde, lüsterne Ausdruck ihres
Gesichtes machten sie jedem Manne interessant.
Das in der Pension verwöhnte Mädchen hatte nach der Rückkehr ins
Elternhaus dem Herrenkreis, mit dem sie durch ihre Familie in
Berührung kam, wenig Beachtung geschenkt. Lulu ließ deutlich
durchblicken, daß sie höhere Ansprüche machte, und schreckte
manchen ehrlichen Bewerber ab.
Als aber auch bei ihr dann das Liebesbedürfnis sich einstellte und sie,
der vornehmen Maske müde, Annäherung suchte, war man in ihren
Kreisen ihrer überdrüssig geworden.
Die Mutter war besorgt, die Tochter könnte auf diese Weise ganz leer
ausgehen. Ihr Mann aber meinte, mit neunzehn Jahren hätte Lulu noch
keine so große Eile.
"Tid hätt se, Vadder, aber'n Baron krigt se doch nich", gab die Frau zu.
"Du mit Din Baron", schalt er, "för'n Discher is se mi to god".
"De Hugelmann wär'n flietigen Minschen", verteidigte sie sich. "De
Deern is man krütsch".
"Kann se ok", behauptete er. "För'n Discher is se nich in de Pangschohn
wesen."
"Du mit Din Discher", brummte Mutter Behn.
Während die Eltern über die Frage, ob "Discher" oder "Baron" noch
manchmal viel überflüssige Worte verloren, segelte Lulu bereits mit
vollen Segeln in dem Fahrwasser einer Leidenschaft, dessen Quelle
weit zurück lag, in ihren Kindertagen entsprungen war.
Der alte Behn hatte als Polier geheiratet und damals ein bescheidenes
Häuschen in Barmbeck bewohnt, in unmittelbarer Nachbarschaft des
um zwei Jahre früher verheirateten, älteren Schulfreundes Heinrich
Beuthien, der mit einer Droschke und zwei Pferden sein bescheidenes
Fuhrgeschäft eröffnet hatte.
Hier hatten die Kinder, der zehnjährige Wilhelm und die neunjährige
Lulu im täglichen Verkehr Freundschaft geschlossen, die die ersten
Trennungen, durch Wohnungsveränderungen bedingt, überstand, bis
allmählich der intelligentere, vom Glück begünstigte Behn einen zu
weiten Vorsprung vor seinem früheren Schulkameraden gewann und
"das Pensionsfräulein" dem "Droschkenkutscher" entfremdet wurde.
Als nun der Zufall beide Familien wieder in einer Straße vereinigte,
war die einstige Vertraulichkeit zwischen den Eltern längst erkaltet.
Die Väter begrüßten sich noch gewohnheitsmäßig mit Du, nannten sich
aber nicht mehr beim Vornamen, wie sonst.
Lulu war natürlich für den Spielkameraden aus der Barmbecker Zeit
jetzt das Fräulein Behn, wie er für sie Herr Beuthien.
So peinlich ihr diese Nachbarschaft war, die auch der alte Behn nur aus
zwingenden Geschäftsrücksichten auf sich genommen hatte, und so
sehr sie durch vornehme Zurückhaltung das frühere Verhältnis in
Vergessenheit zu bringen bemüht war, so wenig schien er von der Nähe
der Jugendfreundin und deren jetzigen Vornehmheit geniert. Ja, er that,
als hätte er sie garnicht mit auf der Rechnung. Der hübsche, von allen
Weibern beachtete junge Mann schien durchaus keinen großen Abstand
zu empfinden zwischen einem Droschkenkutscher und der in einer
Pension erzogenen Tochter eines fünffachen Hausbesitzers. Er grüßte
sie, wie er ihre Anna, das Dienstmädchen, grüßte und die Krämersfrau
oder die Wittfoth und andere Frauen und Mädchen aus den Geschäfts-
und Wohnkellern der Nachbarschaft, mit der gleichgiltigen überlegenen
Herablassung eines siegesüberdrüssigen Don Juans.
Er war ihr gegenüber entschieden im Vorteil. Das ärgerte sie.
Als es mit der Vornehmheit nicht glücken wollte, suchte sie den
Unterschied ihrer Stellungen durch ein Herabsteigen aus ihrer Höhe
auszugleichen.
Als auch hier der Erfolg ihren Erwartungen nicht entsprach, und ihm
Fräulein Lulu Behn noch immer mit Stiene und Mine rangierte,
erwachte die gekränkte Eitelkeit.
Aus diesem Kampf um seine Anerkennung erwuchs ihr Interesse für
ihn zu einer fast krankhaften Leidenschaft.
Fuhr er aus, er mußte immer an ihrem Hause vorbei, war sie gewiß am
Fenster. Sie lauerte ihm förmlich auf.
Der junge Beuthien war begehrliche Blicke gewohnt. Er wußte bald,
wie er mit Fräulein Lulu Behn daran war. Aber er hatte auch seinen
Stolz.
Sie gefiehl ihm wohl. Er verstand sich auf Weiber. Aber sie war ihm
nicht mehr als hundert andere hübsche Mädchen auch.
Freilich, wenn er einmal mit ihr zu Tanz gehen könnte, wie mit der
Anna, er würde etwas darum geben. Es wäre ihm ein Gaudium. Und
dann sie stehen lassen, wie jede andere Lise.
VII.
Früher als sonst stellte sich der Frühling ein. Dem späten, aber immer
noch winterlichen Ostern folgten warme Tage. Was an Sträuchern im
März schon seine ersten vorsichtigen Taster ausgestreckt hatte, wagte
sich im April zuversichtlich heraus.
Ueberall ein Schwellen und Knospen. Grüner Hauch über Busch
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