Aus dem Durchschnitt - Roman | Page 2

Gustav Falke
ordentlich vornehmen". Die Wittfoth
machte eine bezeichnende Handbewegung.
"Dreimal auf'n Tag und düchtig", eiferte das Mädchen. "Aber Herrjeses!
ich vergeß mir ja ganz. Na, das wird'n schönen Segen geben. Sie hat so
keinen Guten heute".
Sie riß ihre Kartoffelkiepe an sich und stürzte mit einem vertraulichen
"Schüüß Frau Wittfoth" fort, mit klirrendem Schlag die Thür hinter sich
schließend.
"Deernsvolk!" schalt die zusammenschreckende Frau hinterher.

II.
Frau Caroline Wittfoth war die Witwe eines kleinen Hafenbeamten, der
ihr außer einer geringfügigen Pension soviel hinterlassen hatte, daß sie
die Weiß- und holländische Warenhandlung von der erkrankten
Besitzerin kaufen konnte. Vier Jahre hatte sie seitdem das gut
eingeführte Geschäft mit Glück fortgesetzt und erweitert. Klug und
unternehmend, hatte sie sich bald in die neuen Verhältnisse
hineingearbeitet. Sie wußte, was sie wollte. Die Geschäftsreisenden
merkten, daß sie der kleinen helläugigen Frau nichts aufschwätzen
konnten und respektierten ihre Geschäftstüchtigkeit.

Mehr Mühe und Verdrießlichkeiten hatten ihr im Anfang die jungen
Mädchen gemacht, deren sie zwei benötigte, eine Verkäuferin und eine
Schneiderin für die Anfertigung der Dienstmädchenkostüme.
Sie hatte viel wechseln müssen. Die meistens ungebildeten,
anspruchsvollen Mädchen suchten der kleinen, in manchen Dingen
selbst noch unerfahrenen Frau durch freches Wesen zu imponieren.
Aber Frau Caroline Wittfoth ließ sich nicht in ihrem eigenen Hause
"kujonieren". Sie hatte immer kurzen Prozeß gemacht und, wenn nötig,
alle acht Tage gewechselt, bis sie schließlich die brauchbaren
Persönlichkeiten gefunden und sich in diesem täglichen Kampfe gegen
Widersetzlichkeit, Unordnung und Trägheit soweit geschult und
gestählt hatte, daß sie sich fortan in Respekt zu setzen wußte.
Seit einem halben Jahr hatte sie ihre Nichte Therese Saß, die Tochter
einer verarmt verstorbenen Schwester, zu sich genommen, ein
zweiundzwanzigjähriges, schwächliches, etwas verwachsenes Mädchen,
das erkenntlichen Charakters die Fürsorge der Tante durch hingebende
Pflichttreue vergalt. Therese war sehr geschickt im Schneidern und
erlebte die Genugthuung, daß neuerdings auch einzelne Damen der
Nachbarschaft ihre einfachere Garderobe, Haus- und Morgenröcke, von
ihr anfertigen ließen.
Die Wittfoth selbst verstand nichts von diesem Zweig ihres Geschäftes,
und besorgte lediglich den Laden und die Wirtschaft, wobei sie von
einem zweiten jungen Mädchen unterstützt wurde.
Die achtzehnjährige blühende Blondine mit den großen grauen,
blitzenden Augen wußte ihre Prinzipalin gut zu nehmen. Anstellig und
gewandt, war sie mit Erfolg bestrebt, sich der Wittfoth unentbehrlich zu
machen und sie durch kluges, einschmeichelndes Eingehen auf ihre
Schwächen und Eigenheiten zu gewinnen. Auch die Kunden fesselte
das hübsche Mädchen durch sein gefälliges, entgegenkommendes
Wesen.
Mit der stillen, freundlichen Nichte ihrer Herrin hatte Mimi Kruse eine
wärmere Freundschaft geschlossen. Von Natur gutmütig, fühlte sie
Mitleid mit der kränklichen, in einer freudlosen Jugend Verkümmerten,

und diese empfand das frische, immer gleich heitere Wesen Mimis als
belebenden Sonnenstrahl in dem Einerlei ihres zum Verzicht auf jede
lautere Lebensfreude verurteilten Daseins.
So lebten die drei Frauenspersonen wie in
Familienzusammengehörigkeit. Oft kam ein Neffe der Witwe zum
Besuch, Hermann Heinecke, ein Volksschullehrer. Der junge Mann war
der Sohn ihres Stiefbruders, der im Mecklenburgischen eine kleine
Landstelle besaß.
Hermann verkehrte gerne bei der Tante, der jungen Mädchen wegen.
Der verwandtschaftlichen Freundschaft für Therese gesellte sich eine
aufrichtige Wertschätzung ihres sanften, geduldigen Wesens und ihres
feineren, tieferen Seelenlebens. Doch die Ergebenheit, die er seiner
Cousine entgegenbrachte, hinderte ihn nicht, der hübschen Verkäuferin
seiner Tante gleichzeitig ein warmes Interesse zu schenken.
Mimi hatte keinen glühenderen Verehrer, als Hermann Heinecke. Sie
wußte das und verwandte alle kleinen Künste der Koketterie, um ihn an
sich zu fesseln.
Das gutmütige, etwas fade, von einem dünnen blonden Bart umrahmte
Gesicht des jungen Mannes war eigentlich nicht "ihre Nummer", wie
sie zu sagen pflegte. Ihre Schwärmerei waren die Schwarzen,
Kraushaarigen.
Die goldene Brille, die Hermann trug, söhnte sie jedoch wieder etwas
mit seinem Gesicht aus. Sie hatte, wie die meisten jungen Mädchen,
eine Vorliebe für Augengläser, unter diesen wieder das Pincenez
bevorzugend. Die Brille verlieh dem ziemlich ausdruckslosen Gesicht
des Lehrers ein bedeutenderes Ansehen. Die freundlichen blauen
Augen sahen ohne diesen Schutz etwas blöde in die Welt, gewannen
dahinter versteckt jedoch an Glanz und Leben.
Auch der Umstand, daß die Einfassung der Brille von Gold war, fiel bei
Mimi Kruse durchaus ins Gewicht. Schenkte sie ihre Beachtung einmal
einem Herrn, der eigentlich gegen ihren Geschmack war, so mußte sie
hierzu triftige Gründe haben, zum Beispiel die Aussicht auf nahe und

auskömmliche Versorgung. Und die bot ein junger Lehrer immerhin.
Der Neffe ihrer Prinzipalin war seit Michaelis fest angestellt, hatte ein
gesichertes Einkommen und war pensionsberechtigt. Dafür durfte er
schon blond sein und einen schlichten Scheitel tragen.
Hermann hatte den beiden Mädchen versprochen, sie am ersten
Ostertage spazieren zu führen, und kam nun am Freitag vor dem Feste,
noch abends um 9 Uhr, um seine Einladung zu wiederholen und das
Nähere zu bereden. Man wollte bei günstigem Wetter einen
Nachmittagsspaziergang machen und am Abend ein Theater oder
Konzerthaus besuchen. Bei schlechter Witterung sollte auf dem
Dammthorbahnhof oder in der Alsterlust der Kaffee getrunken werden.
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