Aus Kroatien | Page 6

Arthur Achleitner
fürder ausgemacht, daß der Staresina ein
"großer Lügner" sei....
* * * * *
So zurückgezogen, gesellschaftlich abgeschlossen Kommandant
Tonidandel im Städtchen lebte, ab und zu besuchte er doch den Prota
(Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde), einen ehrwürdigen
Greis mit schneeweißem Bart und langem Silberhaar, im Pfarrhause.
Sowohl der ruhige Prota wie seine Gattin, die stille Posa (Poscha),
besonders aber die liebliche Tochter Maca (Matza, Marie) waren dem
bärbeißigen Kompagniekommandanten überaus sympathisch.
Tonidandel fühlte sich wohl bei dieser Familie, zumal ihm der Prota,
der, wie alle Stände in der Militärgrenze, unter dem Militärgesetz und
der Militärverwaltung stand, nie Unannehmlichkeiten, Verdruß oder
Scherereien verursacht hatte. Gelegentlich vom Prota geäußerte Worte
über die drückende Militärdidaktur, über den Despotismus des
Regimentschefs nahm Tonidandel umso weniger übel, als der
Kompagniekommandant doch selbst seine eigene, nicht gerade rosige
Meinung über den gewalttätigen Chef hatte.
So saß denn Tonidandel etliche Tage später an einem Abend im kahlen,
doch behaglich erwärmten Wohnzimmer des Pfarrhauses und kneipte
mit dem Prota vom Weine, den der Kommandant vorher ins Haus

gesandt hatte. Der Erzpriester mit kümmerlichem Einkommen war so
arm, daß er den hohen Gast nicht hätte entsprechend bewirten können.
Deshalb schickte Tonidandel mit der Besuchsansage stets Wein,
Slibowitz, zuweilen auch kalten Aufschnitt ins Pfarrhaus.
So auch diesmal. Und wie die Herren nach der Begrüßung der Damen
gemütlich beisammen saßen, erzählte Tonidandel vergnügt die
Geschichte von den Gänsekartoffeln, und zugleich sprach er die
Hoffnung aus, für die Dauer seiner Dienstzeit mit "Erdäpfel-Befehlen"
verschont zu bleiben.
Der ehrwürdige Prota wagte kaum ein Lächeln. Würdevoll schloß er
sich der Hoffnung des Kommandanten an und leerte auf die Erfüllung
des Wunsches Tonidandels sein Glas.
"Ist recht so, lieber Prota! Ich hoffe aber noch mehr, nämlich die
endliche Berufung unter Vorrückung nach--Europa!"
"Bog daj!"[3] rief der Erzpriester und hob die Augen zur geschwärzten
Decke. Und nachdem er die Unschlittkerze geputzt hatte, wagte er die
sanft vorgebrachte Bemerkung, daß sich bei bescheidenen Ansprüchen
doch auch in der weltentlegenen Lika leben lasse. "Besser freilich
vielleicht im Provinzial!"[4]
"Glaub' Er das nicht, lieber Prota!" erwiderte eifrig der Kommandant.
"In mancher Beziehung sind die Zustände bei uns in der Grenze sogar
besser! Wir haben doch nicht die Rechtsbeugungen der adeligen
Gutsbesitzer, nicht die Willkürherrschaft der autonomen Komitate,
nicht die Gier und Leidenschaft politischer Hitzköpfe im Provinzial!"
Milde sprach der Erzpriester im Silberhaar. "Das nicht, gnädiger Herr!
Aber dafür den Despotismus des Regimentskommandanten!"
"Das muß man als etwas Selbstverständliches hinnehmen! Das Volk
der Grenze so gut wie wir Offiziere! Übrigens haben wir in der Grenze
immer noch mehr Rechtssicherheit als das Provinzial!"
Ergebungsvoll stimmte der Prota zu. "Euer Herrlichkeit belieben recht
zu haben! Nur dürfte die Härte des Militärgesetzes nicht zu bestreiten
sein."
"Warum 'Härte'?"
"Halten zu Gnaden, Herr Kommandant! Hart ist es für uns
Serbokroaten, weil die Auditore (Militärrichter) Fremde sind, unsere
Sprache nicht verstehen, auf Dolmetscher angewiesen sind, die zwar
Kroatisch gut, Deutsch hingegen nur ungenügend können! Ich meine,

daß die beiderseitige Sprachunkenntnis gefährliche Folgen für Leben,
Freiheit und Eigentum der Angeklagten hat und noch haben wird!"
"Hm! Ist ja richtig, aber wir zwei können das nicht ändern! Na
zdravje!"[5]
Demütig dankte der Prota für diese Ehre. Und mit bebender Hand
führte er sein Glas zum Munde.
"Recht so, lieber Prota! Muß sagen, daß ich recht zufrieden mit Ihm bin!
Der einzige Pope im ganzen Bezirk, der mir noch keinen Verdruß
bereitet hat!"
"Ich danke gehorsamst für diese Anerkennung! Dennoch zittere ich
schier jeglichen Tag, daß doch einmal Unheil über mich kommen
werde...."
"Warum? Hat Er denn von früher her etwas auf dem Kerbholz?"
"Nicht schlimm, Euer Herrlichkeit aufzuwarten! Nur einen üblen
Auftritt hat es vor Jahren gegeben, als wir zur Vorstellung vor dem
damaligen neuen Regimentskommandanten, einem Deutschen, nach
Otocac (Ototschatz) befohlen waren und vom Militärchef bös
angefahren wurden, daß wir Erzpriester Feinde des Kaisers und
Österreichs seien...."
"Wieso?"
"Der Oberst warf uns vor, daß wir in unseren Kirchenbüchern für den
Zar von Rußland beten, nicht für den Kaiser von Österreich!"
Interessiert rief Tonidandel. "Was? Ist das wahr?"
"Ja und nein, Euer Herrlichkeit aufzuwarten! Die Erklärung ist leicht zu
geben! Unsere Kirchenbücher müssen in--Rußland gedruckt werden,
weil die österreichische Regierung nicht erlaubt, daß unsere orthodoxen
Bücher in Österreich gedruckt werden! So ist es denn ganz erklärlich,
daß in den in Rußland gedruckten Büchern der Name des dortigen
Landesherrn steht. Selbstverbindlich beten wir aber für den Kaiser von
Österreich, für unseren Landesherrn!"
"Weiter!"
"Jener Oberst steifte sich aber darauf, daß es in den Büchern 'Zar', nicht
'Kaiser' heißt! Ich als Sprecher der Erzpriester habe den gestrengen
Kommandanten aufmerksam gemacht, daß man in der slavischen
Sprache das Wort 'Kaiser' nicht kennt, nicht anders nennen kann als
'Zar'! Zar ist gleichbedeutend mit Kaiser! Zum Schluß der
denkwürdigen Audienz hatte ich gebeten, es möge der Oberst bewirken,

daß unsere Kirchenbücher in Österreich gedruckt werden dürfen; dann
werde sicher der Name unseres österreichischen Zaren =
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