Auf dem Staatshof | Page 7

Theodor W. Storm
vor ihr machte und mit einer abscheulichen
Koketterie ihre durchlöcherten Röcke schwenkte, "haben Sie keine
Angst, meine Lumpen sind alle gewaschen! Freilich die seidenen
Bändchen sind längst davon, und die Strümpfe, die hat dein Großvater
selig mir ausgezogen; aber wenn dir die Schuhe noch gefällig sind?"
Und bei diesen Worten zog sie die Schlumpen von den nackten Füßen
und schlug sie aneinander, daß es klatschte. "Greif zu, Goldkind", rief
sie, "greif zu! Es sind Bettelmannsschuhe, du kannst sie bald
gebrauchen."

Anne Lene stand ihr völlig regungslos gegenüber; Wieb aber, deren
Augen mit großer Ängstlichkeit an ihrer jungen Herrin hingen, griff in
die Tasche und drückte der Bettlerin eine Münze in die Hand. "Geh nun,
Trin", sagte sie, "du kannst zur Nacht wiederkommen; was hast du
noch hier zu suchen?"
Allein diese ließ sich nicht abweisen. Sie richtete sich hoch auf, indem
sie mit einem Ausdruck überlegenen Hohnes auf die Alte herabsah. "Zu
suchen?" rief sie und verzog ihren Mund, daß das blendende Gebiß
zwischen den Lippen hervortrat. "Mein Muttergut such ich, womit ihr
die Löcher in eurem alten Dache zugestopft habt."
Wieb machte Miene, Anne Lene ins Haus zu ziehen.
"Bleib Sie nur, Mamsell", sagte das Weib und ließ die empfangene
Münze in die Tasche gleiten, "ich gehe schon; es ist hier doch nichts
mehr zu finden. Aber", fuhr sie fort, mit einer geheimnisvollen Gebärde
sich gegen die Alte neigend, "auf deinem Heuboden schlafe ich nicht
wieder. Es geht war um in eurem Hause, das pflückt des Nachts den
Mörtel aus den Fugen. Wenn nur das alte hoffärtige Weibe noch
daruntersäße, damit ihr alle auf einmal euren Lohn bekämet!"
Auf Anne Lenes Antlitz drückte sich ein Erstaunen aus, als sei sie
durch diese Worte wie von etwas völlig Unmöglichem betroffen
worden. "Wieb", rief sie, "was sagt sie? Wen meint sie, Wieb?"
Mich übermannte bei dem Anblick meiner jungen hilflosen Freundin
der Zorn; und ehe das Weib zu einer Antwort Zeit gewann, packte ich
sie am Arm und zerrte sie den Hof hinunter bis hinaus auf den Weg.
Aber noch als ich das Gittertor hinter mir zugeworfen hatte und wieder
auf die Werfte hinaufging, hörte ich sie ihre leidenschaftlichen
Verwünschungen ausstoßen. "Geh nach Haus, Junge", schrie sie mir
nach, "dein Vater ist ein ehrlicher Mann; was läufst du mit der Dirne in
der Welt umher!"
Drinnen im Gesindezimmer fand ich Anne Lene vor ihrer alten
Wärterin auf den Knien liegen, den Kopf in ihren Schoß gedrückt.
"Wieb", sprach sie leise, "sag mir die Wahrheit, Wieb!"

Die Alte schien um Worte verlegen. Sie schalt auf die Bettlerin und
redete dies und das von allgemeinen Dingen, indem sie ihre rauhe Hand
liebkosend über das Haar ihres Lieblings hingleiten ließ. "Was wird es
sein", sagte sie, "dein Großvater und dein Urgroßvater waren große
Leute; die Armen sind immer den Reichen heimlich feind!"
Anne Lene, die bis dahin ruhig zugehört hatte, erhob den Kopf und sah
sie zweifelnd an. "Es mag doch wohl anders gewesen sein, Wieb",
sagte sie traurig, "du mußt mich nicht belügen!"
Was weiter zwischen den beiden gesprochen worden, weiß ich nicht;
denn ich verließ nach diesen Worten das Zimmer, da ich glaubte, die
Alte werde das Gemüt des Mädchens leichter zur Ruhe sprechen, wenn
sie allein sich gegenüber wären.--Aber nach einigen Tagen war das
Diamantkreuz von Anne Lenes Hals verschwunden, und ich habe
dieses Zeichen alten Glanzes niemals wieder von ihr tragen sehen.

Ich mochte etwa ein Jahr lang in der Universitätsstadt gewesen sein, als
ich durch einen Brief meines Vaters die Nachricht von Anne Lenes
Verlobung mit einem jungen Edelmann erhielt. Er teilte mir die Sache
mit, ohne ein Wort der Billigung oder Mißbilligung von seiner Seite
hinzuzufügen.--Der Bräutigam war mir wohlbekannt; seine Familie
stammte aus unsrer Stadt, und er selbst hatte sich kurz vor meiner
Abreise wegen einer Erbschaftsangelegenheit dort aufgehalten. Da er
sich meines Vaters als Geschäftsbeistandes bediente und keine weiteren
Bekanntschaften in der Stadt hatte, so war er in unserm Hause ein oft
gesehener Gast geworden. --Mir waren die blanken braunen Augen
dieses Menschen vom ersten Augenblick an zuwider gewesen; und
auch jetzt noch schienen sie mir nichts Gutes zu versprechen. Doch
sagte ich mir selbst, da diese Meinung keine unparteiische sei. Ich war
von dem Herrn Kammerjunker als ein junger bürgerlicher Mensch von
vornherein mit einer mir sehr empfindlichen Oberflächlichkeit
behandelt worden; er hatte in meiner Gegenwart in der Regel getan, als
ob ich gar nicht vorhanden sei; was aber das schlimmste war, ich hatte
zu bemerken geglaubt, daß er meiner jungen Freundin nicht in
gleichem Grade wie mir mißfallen hatte.

Obgleich die seit meiner Knabenzeit in mir keimende Neigung für
Anne Lene, da sie keine Erwiderung gefunden, niemals zur Entfaltung
gekommen war, so wurde ich doch jetzt durch die Nachricht von ihrer
Verbindung mit einem mir so verhaßten Manne auf das heftigste
erschüttert und, ich darf wohl
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