Auf dem Staatshof | Page 3

Theodor W. Storm
steht; bis endlich doch die vorgehaltene
Lockspeise und die bunten Schäferbilder, die drinnen auf die Wände
gemalt sind, mich bewegen, hineinzutreten.
Mir ist, als hätte ich es mit einem besonders angenehmen Gefühl mit
angesehen, wie Anne Lene von meiner Mutter auf den Schoß
genommen und geküßt wurde. Späterhin mögen die Männer, wie es
dort gebräuchlich ist, zur Besichtigung der Rinder auf das Land
hinausgegangen sein; denn ich habe die Erinnerung, als sei bald eine
Stille um mich gewesen, in der ich nur die sanfte Stimme meiner
Mutter und andre Frauenstimmen hörte. Anne Lene und ich spielten
unter dem Tische zu ihren Füßen; wir legten den Kopf auf den
Fußboden und horchten nach dem Wasser hinunter. Zuweilen hörten
wir es plätschern; dann hob Anne Lene ihr Köpfchen und sagte: "Hörst
du, das tut der Fisch!" Endlich gingen wir ins Haus zurück; es war kühl,
und ich sah die Büsche des Gartens alle im Schatten stehen. Dann fuhr
der Wagen vor; und in dem Schlummer, der mich schon unterwegs
überkam, endete dieser Tag, von dem ich bei ruhigem Nachsinnen nicht
außer Zweifel bin, ob er ganz in der erzählten Weise jemals dagewesen,

oder ob nur meine Phantasie die zerstreuten Vorfälle verschiedener
Tage in diesen einen Rahmen zusammengedrängt hat.

Späterhin, als sich allmählich die Hilfsbedürftigkeit des Alters
einstellte, zog die Frau Ratmann van der Roden mit ihrer Enkelin in die
Stadt und ließ den Hof unter der Aufsicht des früheren Bauknechtes
Marten und seiner Ehefrau, der alten Wieb. Vor dem Hause, welches
sie einige Straßen von dem unsern entfernt bewohnte, standen granitne
Pfeilersteine, die durch schwere eiserne Ketten miteinander verbunden
waren. Wir Jungen, wenn wir auf unserm Schulwege vorübergingen,
unterließen selten, uns auf diese Ketten zu setzen und, mit Tafel und
Ranzen auf dem Rücken, einige Male hin und her zu schaukeln. Aber
ich entsinne mich noch gar wohl, wie wir auseinanderstoben, wenn
einer von uns das Gesicht der alten Dame hinter den Geranienbäumen
am Fenster gewahrte, oder gar, wenn sie mit einer gemessenen
Bewegung den Finger gegen uns erhoben hatte.
Desungeachtet ließ ich mir gern, was öfters geschah, vom Vater eine
Bestellung an sie auftragen. Ich weiß nicht mehr, war es das kleine
zierliche Mädchen, das mich anzog, oder war es die alte Schatulle,
deren Raritäten ich in besonders begünstigter Stunde mit ihr beschauen
durfte; die goldenen Schaumünzen, die seidenen, bunt bemalten Fächer
oder oben auf dem Aufsatz der Schatulle die beiden Pagoden von
chinesischem Porzellan, die schon vom Flur aus durch die Fenster der
Stubentür meine Augen auf sich zogen. Am Sonnabendnachmittag
stellte ich mich regelmäßig ein, um die Frau Ratmann mit der kleinen
Anne Lene zum Sonntag auf den Kaffee einzuladen, was bis zur letzten
Zeit vor ihrem Absterben ebenso regelmäßig von ihr angenommen
wurde. Am Tage darauf präzise um drei Uhr hielt dann die schwere
Klosterkutsche vor unsrer Haustreppe; unsre Mägde hoben die alte
Dame und ihr Enkelchen aus dem Wagen, und meine Mutter führte sie
in das Festzimmer des Hauses, das schon von dem Dufte des Kaffees
und des sonntäglichen Gebäckes erfüllt war. Wenn dann die
Enveloppen und Tücher abgelegt waren und die beiden Damen sich
gegenüber an dem sauber servierten Tische Platz genommen hatten,
durften auch wir Kinder uns an ein Nebentischchen setzen und

erhielten unsern Anteil an den "Eiermahnen" und "Bieschen", oder wie
sonst die schönen Sachen heißen mochten. Mir ist indessen, wenn ich
dieser Sonntagnachmittage gedenke, als sei ich niemals unglücklicher
in den Versuchen gewesen, meinen Kaffee aus der Ober- in die
Untertasse umzuschütten; und ich fühle noch die strengen Blicke, die
mir die alte Dame von ihrem Sitze aus hinübersandte, während meine
Mutter mir meine kleine Gespielin zum Muster aufstellte, von der ich
mich nicht entsinne, daß sie jemals beim Trinken die Serviette oder ihr
weißes Kleid befleckt hätte.
Ein solcher Sonntagnachmittag, nachdem schon einige Jahre in dieser
Weise vorübergegangen waren, ist mir besonders im Gedächtnis
geblieben.--Ich hatte mich in dem angenehmen Bewußtsein des
Feiertages in unserm Hofe umhergetrieben und war endlich in das
Waschhaus gelangt, das am Ende desselben lag. Auch hier hatte sich
der Sonntag bemerklich gemacht; die föhrenen Tische waren
gescheuert, die holländischen Klinker, womit der Boden gepflastert war,
sahen so feucht und frisch gespült aus; dabei war eine so liebliche
Kühle, daß ich mich fast gedankenlos an einen Tisch lehnte und auf das
träumerische Gackeln der Hühner lauschte, das aus dem anstoßenden
Hühnerhof zu mir hereindrang. Nach einer Weile hörte ich drunten im
Wohnhause aus der im Erdgeschoß befindlichen Küche das
Kaffeegeschirr herauftragen, das Klirren der Tassen und Kaffeelöffel;
und endlich vernahm ich auch von der Straße her das Anfahren der
Kutsche und bald darauf das Aufschlagen der Haustür. Aber das süße
Gefühl, die Nachmittagsfeier so ganz unangebrochen vor mir zu haben,
ließ mich immer noch zögern, ins Haus hinabzugehen. Da vernahm ich
das Summen des Fliegenschwarms, der in der Sonne
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