Auf Gottes Wegen | Page 6

Bjørnstjerne M. Bjørnson
sein; das steht in dem Traktat. Und es steht auch darin, ein Mission?r habe gesagt: Und h?tte ich zehn Leben, ich g?be sie alle zehn hin für die Mission ... Und das will ich auch."
Sie gingen jetzt Seite an Seite. Ole hatte sich, ohne es zu wissen, den aufleuchtenden Sternen zugekehrt. Beide standen eine Weile so und starrten in die Luft. Unter ihnen der Hafen mit den Schiffen in verschwommenen Umrissen, die Brücken, niedrig, schwer; die Stadt mit ihren verstreuten Lichtern; weiter drau?en der Strand, wollgrau von Schnee, und daneben das schwarze Meer; hier unten h?rte man es wieder, wenn auch schw?cher; das einf?rmige Tosen verflo? mit dem sternbes?ten Halbdunkel. Zwischen den Knaben zitterten unsichtbare F?den hin und her; Gefühle knüpften sich an. Von keinem andern wünschte Ole so sehnlich, gut beurteilt zu werden, wie von dem, der in seiner leichten Pelzmütze vor ihm stand; und Edvard dachte, wie viel besser doch Ole sei als er. Denn da? er selber gr??lich war, das wu?te er; das h?rte er ja alle Tage. Er sah seitw?rts auf den Bauernjungen; -- die tief über die Ohren gezogene Zipfelmütze, die gro?en Fausthandschuhe, der plumpe Schal, die weite Friesjacke, die breiten Hosen, die schweren, eisenbeschlagenen Stiefel --nur -- die Augen wogen das alles auf, und das treuherzige Gesicht, wenn es auch ein bi?chen altklug war ... Ole wird einmal ein gro?er Mann werden!
Sie trabten weiter, Edvard voran, Ole hinterher, hinunter zur "Vorstadt". So hie? der Stadtteil, der an den "Berg" stie? und im wesentlichen aus Arbeiterh?usern, Werkst?tten und kleineren Fabriken bestand. Ordentliche Stra?enanlagen oder Beleuchtung gab es hier noch nicht; es war jetzt, beim Tauwetter, ein entsetzlicher Morast, der in der Abendk?lte gerade zu gefrieren begann. Die paar Laternen, die vorhanden waren, hingen an Stricken, die vom einen Haus zum andern quer über die Gasse gespannt waren, und hinauf- und hinuntergezogen werden konnten. Sie waren schwarz von Qualm und daher ?u?erst schlechter Laune. Hier und dort hatte eine kleine Werkstatt ihre eigene kleine Laterne, die über der Haustreppe hing. Unter einer solchen Laterne blieb Edvard stehen. Er mu?te wieder etwas fragen. N?mlich -- wer es eigentlich sei, dessen Ole sich dort unten annahm? Einer, den sie beide kannten? Frohgemut setzte Ole seinen Korb auf die Treppe und stützte sich mit der Hand darauf. Er l?chelte: "Du kennst doch die Marte von der Werft?" Ja, die kannte die ganze Stadt; eine tüchtige Frau; aber sie trank; und oft hatten die Schuljungen am Samstagabend ihren Jux mit ihr, wenn sie, an eine Mauer gelehnt, dastand und sie ausschimpfte und sich schlie?lich umdrehte und zum Zeichen ihrer Hochachtung -- na ja, wie das Zeichen aussah, l??t sich nicht gut beschreiben! Aber die Bengels warteten blo? darauf; und die Sache wurde stets mit Jubelgeheul begrü?t.
"Die Marte von der Werft!" rief Edvard. "Die willst Du bekehren?" -- "Still doch! Nicht so laut!" bat Ole. Er war flammend rot geworden und sah sich erschrocken um. Edvard wiederholte flüsternd: "Glaubst Du, irgend ein Mensch k?nnte die bekehren?" -- "Ich glaube, ich bin auf dem besten Wege!" flüsterte der andere geheimnisvoll. -- "Du mu?t schon entschuldigen -- aber ich glaub' es nicht!" Die Augen schielten, der Mund verzog sich zu einem L?cheln. -- "Wart' nur erst und h?r' mich an! Du wei?t doch, im Winter ist sie auf dem Glatteis hingefallen und hat sich b?sen Schaden getan?" Jawohl, das wu?te er. -- "Seitdem liegt sie im Bett, und kein Mensch hat Lust, ihr zu helfen. Sie ist doch so b?sartig und kratzbürstig. Gegen mich war sie anfangs widerw?rtig -- kaum zum Aushalten war's. Aber ich achtete einfach nicht darauf, und jetzt hei?t es nur noch 'mein Gottesengelchen', 'mein L?mmeken', 'mein Golds?hnchen', 'mein gutes Kind'. Denn ich habe sie umgebettet und Kleider und Essen und Bettzeug für sie gesammelt, und die ?rgsten Dinge für sie getan, siehst Du. Und doch hat sie eines Abends Miene gemacht, mich zu schlagen, wie ich ihr aufhelfen wollte, und ihr krankes Bein ihr dabei wehtat. Sie schrie wie besessen und hob ihren Stock gegen mich; aber dann nahm sie sich zusammen und fluchte nur ganz fürchterlich und warf mir Schimpfworte an den Kopf. Jetzt ist sie wieder ganz sanft, und neulich hab' ich's sogar gewagt, ihr aus der Bibel vorzulesen." -- "Der Marte von der Werft?" -- "Die Bergpredigt. Und da? Du's nur wei?t -- sie hat geweint." -- "Geweint? Hat sie's denn verstanden?" -- "Nee, sie hat so geweint, da? sie nicht viel davon geh?rt hat, glaub' ich. Aber die Bibel war es doch, siehst Du. Sie fing schon an zu weinen, als ich das Buch nur herauszog."
Die Knaben sahen einander an; vom Hof her klangen Hammerschl?ge und in der Ferne eine Dampfpfeife; dann von der Gasse gegenüber das leise Weinen eines Kindes. -- "Hat sie was gesagt?" -- "Sie sagte, sie sei viel zu schlecht, um
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 126
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.