Gegenwart. Nur eines Abends--wir waren derzeit schon Sekundaner--kam mir der Gedanke, welch eine Vergangenheit an diesen R?umen hafte, ob nicht gar jener tote Knabe einst mit frischen Wangen hier leibhaftig umhergesprungen sei, dessen Bildnis jetzt wie mit einer wehm��tig holden Sage den d��steren Kirchenraum erf��llte.
Veranlassung zu solcher Nachdenklichkeit mochte geben, da? ich am Nachmittage, wo wir auf meinen Antrieb wieder einmal die Kirche besucht hatten, unten in einer dunkeln Ecke des Bildes vier mit roter Farbe geschriebene Buchstaben entdeckt hatte, die mir bis jetzt entgangen waren.
"Sie lauten C. P. A. S.", sagte ich zu dem Vater meines Freundes; "aber wir k?nnen sie nicht entr?tseln."
"Nun", erwiderte dieser, "die Inschrift ist mir wohl bekannt; und nimmt man das Ger��cht zu H��lfe, so m?chten die beiden letzten Buchstaben wohl mit Aquis submersus, also mit 'Ertrunken' oder w?rtlich 'Im Wasser versunken' zu deuten sein; nur mit dem vorangehenden C. P. w?re man dann noch immer in Verlegenheit! Der junge Adjunktus unseres K��sters, der einmal die Quarta passiert ist, meint zwar, es k?nne Casu periculoso--'Durch gef?hrlichen Zufall'--hei?en; aber die alten Herren jener Zeit dachten logischer; wenn der Knabe dabei ertrank, so war der Zufall nicht nur blo? gef?hrlich."
Ich hatte begierig zugeh?rt. "Casu" sagte ich; "es k?nnte auch wohl 'Culpa' hei?en?"
"Culpa?" wiederholte der Pastor. "Durch Schuld?--aber durch wessen Schuld?"
Da trat das finstere Bild des alten Predigers mir vor die Seele, und ohne viel Besinnen rief ich: "Warum nicht: Culpa patris?"
Der gute Pastor war fast erschrocken. "Ei, ei, mein junger Freund", sagte er und erhob warnend den Finger gegen mich. "Durch Schuld des Vaters?--So wollen wir trotz seines d��steren Ansehens meinen seligen Amtsbruder doch nicht beschuldigen. Auch w��rde er dergleichen wohl schwerlich von sich haben schreiben lassen."
Dies letztere wollte auch meinem jugendlichen Verstande einleuchten; und so blieb denn der eigentliche Sinn der Inschrift nach wie vor ein Geheimnis der Vergangenheit.
Da? ��brigens jene beiden Bilder sich auch in der Malerei wesentlich vor einigen alten Predigerbildnissen auszeichneten, welche gleich daneben hingen, war mir selbst schon klargeworden; da? aber Sachverst?ndige in dem Maler einen t��chtigen Sch��ler altholl?ndischer Meister erkennen wollten, erfuhr ich freilich jetzt erst durch den Vater meines Freundes. Wie jedoch ein solcher in dieses arme Dorf verschlagen worden oder woher er gekommen und wie er gehei?en habe, dar��ber wu?te auch er mir nichts zu sagen. Die Bilder selbst enthielten weder einen Namen noch ein Malerzeichen.
Die Jahre gingen hin. W?hrend wir die Universit?t besuchten, starb der gute Pastor, und die Mutter meines Schulgenossen folgte sp?ter ihrem Sohne auf dessen inzwischen anderswo erreichte Pfarrstelle; ich hatte keine Veranlassung mehr, nach jenem Dorfe zu wandern.--Da, als ich selbst schon in meiner Vaterstadt wohnhaft war, geschah es, da? ich f��r den Sohn eines Verwandten ein Sch��lerquartier bei guten B��rgersleuten zu besorgen hatte. Der eigenen Jugendzeit gedenkend, schlenderte ich im Nachmittagssonnenscheine durch die Stra?en, als mir an der Ecke des Marktes ��ber der T��r eines alten hochgegiebelten Hauses eine plattdeutsche Inschrift in die Augen fiel, die verhochdeutscht etwa lauten w��rde:
Gleich so wie Rauch und Staub verschwindt, Also sind auch die Menschenkind.
Die Worte mochten f��r jugendliche Augen wohl nicht sichtbar sein; denn ich hatte sie nie bemerkt, sooft ich auch in meiner Schulzeit mir einen Hei?ewecken bei dem dort wohnenden B?cker geholt hatte. Fast unwillk��rlich trat ich in das Haus; und in der Tat, es fand sich hier ein Unterkommen f��r den jungen Vetter. Die Stube ihrer alten "M?ddersch" (Mutterschwester)--so sagte mir der freundliche Meister--, von der sie Haus und Betrieb geerbt h?tten, habe seit Jahren leer gestanden; schon lange h?tten sie sich einen jungen Gast daf��r gew��nscht.
Ich wurde eine Treppe hinaufgef��hrt, und wir betraten dann ein ziemlich niedriges, altert��mlich ausgestattetes Zimmer, dessen beide Fenster mit ihren kleinen Scheiben auf den ger?umigen Marktplatz hinausgingen. Fr��her, erz?hlte der Meister, seien zwei uralte Linden vor der T��r gewesen; aber er habe sie schlagen lassen, da sie allzusehr ins Haus gedunkelt und auch hier die sch?ne Aussicht ganz verdeckt h?tten.
��ber die Bedingungen wurden wir bald in allen Teilen einig; w?hrend wir dann aber noch ��ber die jetzt zu treffende Einrichtung des Zimmers sprachen, war mein Blick auf ein im Schatten eines Schrankes h?ngendes ?lgem?lde gefallen, das pl?tzlich meine ganze Aufmerksamkeit hinwegnahm. Es war noch wohlerhalten und stellte einen ?lteren, ernst und milde blickenden Mann dar, in einer dunklen Tracht, wie in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sie diejenigen aus den vornehmeren St?nden zu tragen pflegten, welche sich mehr mit Staatssachen oder gelehrten Dingen als mit dem Kriegshandwerke besch?ftigten.
Der Kopf des alten Herrn, so sch?n und anziehend und so trefflich gemalt er immer sein mochte, hatte indessen nicht diese Erregung in mir hervorgebracht; aber der Maler hatte ihm einen blassen Knaben in den Arm gelegt, der in seiner kleinen, schlaff herabh?ngenden Hand eine wei?e Wasserlilie hielt; und diesen Knaben kannte ich ja l?ngst. Auch hier war es wohl der Tod, der ihm die Augen zugedr��ckt hatte.
"Woher ist dieses
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.