Andrea Delfin | Page 4

Paul Heyse
Erst im dritten Monat wurden wir herausgeholt, es hie?, der Glasbl?ser Orso Danieli sei in Mailand am Fieber gestorben, und wir k?nnten nach Hause gehen. Ich habe es auch von anderen geh?rt--aber wer das glaubt, kennt die Signoria nicht. Gestorben? Stirbt man auch, wenn man Frau und Kind unter den Bleid?chern sitzen hat und sie herausholen soll?
Und was meint Ihr, da? aus Eurem Mann geworden sei? fragte der Fremde.
Sie sah mit einem Blick ihm ins Gesicht, der ihn daran gemahnte, da? die arme Frau lange Wochen unter den Bleid?chern gelebt hatte. Es ist nicht richtig, sagte sie. Mancher lebt und kommt doch nicht wieder, und mancher ist tot und kommt doch wieder. Aber davon wollen wir schweigen. Ja, wenn ich es Euch sagte, wer steht mir daf��r, da? Ihr nicht hingeht und es vor dem Tribunal ausplaudert? Ihr seht aus wie ein Galantuomo; aber wer ist noch rechtschaffen heutzutage? Von tausend einer, von hundert keiner. Nichts f��r ungut, Herr Andrea, aber Ihr wi?t wohl, wie es in Venedig hei?t:
Mit Lug und Listen kommt man aus, Mit List und L��gen h?lt man haus.
Es entstand eine Pause. Der Fremde hatte l?ngst den Teller weggeschoben und der Witwe gespannt zugeh?rt.
Ich verdenke es Euch nicht, sagte er, da? Ihr mir Eure Geheimnisse nicht anvertrauen wollt. Sie gehen mich auch nichts an, und zu helfen w��?t' ich Euch ohnedies nicht. Aber wie kommt es, Frau, da? Ihr dieses Tribunal, unter dem Ihr so viel gelitten, dennoch Euch gefallen lasset, Ihr und alles Volk in Venedig? Denn ich wei? zwar wenig, wie es hier aussieht--ich habe mich nie in politische Fragen vertieft--aber so viel habe ich doch geh?rt, da? erst im vorigen Jahr hier ein Tumult war, um das heimliche Tribunal abzuschaffen, da? einer vom Adel selbst dagegen auftrat und der Gro?e Rat eine Kommission w?hlte, die Sache zu bedenken, und alles in Bewegung geriet f��r und wider. Ich h?rte davon sogar in meiner Schreibstube zu Brescia. Und als endlich alles beim alten blieb und die Macht des heimlichen Gerichts fester gegr��ndet stand als je, warum z��ndete da das Volk Freudenfeuer an auf den Pl?tzen und verh?hnte die vom Adel, die gegen das Tribunal gestimmt hatten und nun seine Rache f��rchten mu?ten? Warum war niemand, der es hinderte, da? die Inquisitoren ihren k��hnen Feind nach Verona verbannten? Und wer wei?, ob sie ihn dort am Leben lassen, oder ob die Dolche schon geschliffen sind, die ihn f��r immer stumm machen sollen? Ich--wie gesagt--wei? nur wenig hiervon; ich kenne auch jenen Mann nicht, und es ist mir alles sehr gleichg��ltig, was hier geschieht, denn ich bin krank und werde es in dieser bunten Welt ohnehin nicht mehr lange treiben. Aber es wundert mich doch, dieses wankelm��tige Volk zu sehen, das heute diese drei M?nner seine Tyrannen nennt und morgen frohlockt, wenn die untergehen, welche der Tyrannei ein Ende machen wollten.
Wie Ihr da redet, Herr! sagte die Witwe und sch��ttelte den Kopf. Ihr habt ihn nie gesehen, den Herrn Avogadore Angelo Querini, den sie verbannt haben, weil er der heimlichen Justiz den Krieg erkl?rte? Nun wohl, Herr, aber ich habe ihn gesehen und die anderen armen Leute, und sie sagen alle, er sei ein rechtschaffener Herr und ein gro?er Gelehrter, der Tag und Nacht die alten Geschichten von Venedig studiert hat und die Gesetze kennt, wie der Fuchs den Taubenschlag. Aber wer ihn ��ber die Stra?e gehen oder im Broglio mit seinen Freunden stehen sah, so an die S?ule gelehnt und die Augen halb zugedr��ckt, der wu?te, da? er ein Nobile war von der Feder am Hut bis zu den Schuhschnallen, und was er gegen das Tribunal redete und handelte, war nicht f��rs Volk, sondern f��r die gro?en Herren. Den Schafen aber ist es gleich, Herr Delfin, ob sie geschlachtet oder vom Wolf gefressen werden, und Rauft sich der Habicht mit dem Weih, Ist das Feld f��r die H��hner frei.
Seht, Lieber, darum war die Schadenfreude gro?, als das Tribunal in allen Rechten best?tigt wurde und nach wie vor niemandem Rechenschaft schulden sollte als am J��ngsten Tage dem Herrgott und alle Tage dem Gewissen. Im Kanal Orfano, von Hunderten, die dort ihr letztes Ave gebetet haben, liegen zehn von den kleinen Leuten neben neunzig von den gro?en Herren. Aber setzt den Fall, es w��rden adlige Verbrecher und b��rgerliche vom Gro?en Rat ?ffentlich gerichtet und hingerichtet--Misericordia! wir h?tten achthundert Henker anstatt drei, und der gro?e Dieb h?ngte den kleinen auf.
Er schien etwas erwidern zu wollen, aber mit einem kurzen Auflachen, das die Wirtin f��r Zustimmung nahm, hatte es sein Bewenden. Indem trat Marietta wieder herein, ein Gef?? mit Wasser tragend und ein R?ucherpf?nnchen, auf dem ein scharfriechendes Kraut glimmte und ihr seinen Dampf ins Gesicht trieb, da? sie mit Husten, Schelten und Augenreiben die drolligsten Geb?rden machte. Sie trug das R?ucherwerk mit kleinen Schritten dicht an den vier W?nden herum,
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