um mir zum Trost den Ort zu sehen, wo mein lieber
Bruder so lange gelebt und seine Tage beschlossen hat.«
Sobald der afrikanische Zauberer den Neffen, den er sich soeben selbst
geschaffen, verlassen hatte, lief Alaeddin voll Freude zu seiner Mutter.
»Mütterchen,« sagte er, »ich bitte dich, sage mir, ob ich einen Oheim
habe.« -- »Nein, mein Sohn,« antwortete die Mutter, »du hast keinen
Oheim, weder von seiten deines seligen Vaters noch von der
meinigen.« -- »Und doch,« fuhr Alaeddin fort, »habe ich soeben einen
Mann gesehen, der sich für meinen Oheim von väterlicher Seite ausgab
und versicherte, daß er der Bruder meines Vaters sei. Er hat sogar
geweint und mich umarmt, als ich ihm sagte, daß mein Vater tot wäre.
Zum Beweis, daß ich die Wahrheit sage, sieh, was er mir geschenkt hat.
Er hat mir überdies aufgegeben, dich in seinem Namen zu grüßen und
dir zu sagen, daß er dir morgen seine Aufwartung machen wird, um das
Haus zu sehen, wo mein Vater gelebt hat und gestorben ist.«
»Mein Sohn,« antwortete die Mutter, »es ist wahr, dein Vater hatte
einen Bruder; aber er ist schon lange tot und ich habe ihn nie sagen
gehört, daß er noch einen andern hätte.«
Damit wurde das Gespräch über den afrikanischen Zauberer
abgebrochen.
Den andern Tag näherte sich dieser zum zweitenmal Alaeddin, als er
auf einem andern Platze in der Stadt mit anderen Kindern spielte. Er
umarmte ihn, wie tags zuvor und drückte ihm zwei Goldstücke in die
Hand mit den Worten: »Mein Sohn, bring dies deiner Mutter, sage ihr,
ich werde sie auf den Abend besuchen, und sie möge dafür etwas zum
Nachtessen kaufen, damit wir zusammen speisen können. Zuvor aber
sage mir, wie ich das Haus finden kann.« Alaeddin bezeichnete es ihm
und der afrikanische Zauberer ließ ihn gehen.
Alaeddin brachte die zwei Goldstücke seiner Mutter. Sie ging, das Geld
zu verwenden, kam mit gutem Mundvorrate zurück, und da es ihr an
den nötigen Tischgeräten fehlte, entlehnte sie dieselben von ihren
Nachbarinnen. Sie brachte den ganzen Tag mit Vorbereitungen zu und
als alles fertig war, sagte sie zu Alaeddin: »Mein Sohn, dein Oheim
weiß vielleicht unser Haus nicht, gehe ihm entgegen und führe ihn
hierher, wenn du ihn siehst,« als man an die Türe klopfte. Alaeddin
öffnete und erkannte den Afrikaner, der mit mehreren Weinflaschen
und Früchten von allerlei Gattungen hereintrat.
Nachdem der afrikanische Zauberer seinen Beitrag Alaeddin
eingehändigt hatte, begrüßte er die Mutter und bat sie, ihm die Stelle
auf dem Sofa zu zeigen, wo sein Bruder Mustafa gewöhnlich gesessen
sei. Sie zeigte ihm dieselbe. Nun warf er sich sogleich zur Erde, küßte
die Stelle und rief mit Tränen in den Augen: »Armer Bruder, wie
unglücklich bin ich, daß ich nicht zeitig genug gekommen bin, um dich
vor deinem Tode noch einmal zu umarmen!« So sehr ihn nun auch
Alaeddins Mutter bat, so wollte er sich doch nicht auf diesen Platz
setzen. »Nein,« sagte er, »ich werde mich wohl hüten, aber erlaube, daß
ich mich gegenüber setze, damit ich, wenn mir auch das Vergnügen
versagt ist, ihn persönlich als Vater einer mir so teuren Familie zu
sehen, mir wenigstens einbilden kann, er sitze noch dort.« Alaeddins
Mutter drang nun nicht weiter in ihn und ließ ihn Platz nehmen, wo er
Lust hatte.
Als der afrikanische Zauberer sich da gesetzt hatte, wo es ihm am
besten behagte, fing er ein Gespräch mit Alaeddins Mutter an: »Meine
liebe Schwester,« sagte er, »wundere dich nicht, daß du während der
ganzen Zeit, da du mit meinem Bruder Mustafa verheiratet warst, mich
nie gesehen hast. Es sind schon vierzig Jahre, daß ich dieses Land
verlassen habe. Seitdem habe ich Reisen nach Indien, Persien, Arabien,
Syrien und Ägypten gemacht, mich in den schönsten Städten dieser
Länder aufgehalten und bin dann nach Afrika gegangen, wo ich einen
längeren Aufenthalt nahm. Da es indes dem Menschen angeboren ist,
sein Heimatland, so wie seine Eltern und Jugendgespielen, auch in der
weitesten Ferne nie aus dem Gedächtnis zu verlieren, so hat auch mich
ein so gewaltiges Verlangen ergriffen, mein Vaterland wieder zu sehen
und meinen geliebten Bruder zu umarmen, jetzt, da ich noch Kraft und
Mut zu einer so langen Reise in mir fühle, daß ich ohne weiteren
Aufschub meine Vorbereitungen traf und mich auf den Weg machte.
Ich sage dir nichts von der Länge der Zeit, die ich dazu brauchte, noch
von den Hindernissen, die mir aufstießen, noch von all den
Beschwerden und Mühsalen, die ich überstehen mußte, um
hierherzukommen. Ich sage dir bloß, daß mich auf allen meinen Reisen
nichts so tief gekränkt und geschmerzt hat, als die Nachricht von dem
Tode eines Bruders, den ich immer mit echt brüderlicher Freundschaft
geliebt hatte. Ich bemerkte einige Züge von ihm auf dem Gesicht
meines Neffen, deines Sohnes, und dies machte, daß ich ihn aus all den
übrigen Kindern, bei denen
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