Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Nächte
verbracht. Er trank, warf das Geld weg, aß, saß in den Theatern und den
Kinos, in den Bars und Vergnügungslokalen jeder Klasse.
Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!--
Er floh und kehrte endlich wieder zurück zu Jank, nahm die Arbeit
wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmäßigkeit in sein
Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebückt ging er.
Der Chef nahm ihn in die Abteilung für technische Angelegenheiten ins
Bureau. Da saß er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete,
schlug das Buch zu, kam am ändern Tag wieder und rechnete.
Neben ihm saß das Schreibmaschinenfräulein, weiter am Fenster vorne
der Ingenieur und manchmal auch der Chef.
Jahre.--
Plötzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die
Feder weg, riß sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch des
Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache liegt
vollkommen glatt. Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar."
Steif stand er einen Augenblick vor dem verblüfften Herrn und drehte
sich rasch um, rannte zur Tür und war weg.
Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den
Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, daß kein ihm bekannter
Straßenbahner den Wagen führte, in den er stieg.
Nach der fünften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt.
"Das Urteil im Heinold-Prozeß! Zwölf Jahre Zuchthaus!" schrien die
Zeitungsverkäufer und flatterten mit den Extrablättern herum.
Wichtige, gesprächige Gesichter tauchten auf, gedrängte Gruppen
stauten sich um die Anschlagssäulen.
Peter bohrte seine Augen spähend in die staubige Luft. Nach einem
regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte
heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen,
vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem
großen, auffallend schönen Rosenstrauß heraus, und ein kaltes Lächeln
lag auf seinen störrischen Zügen.
"Lebenslänglich in einem Grab ... da schon lieber gleich weg," hatte er
gestern beim Treppenhinaufgehen gehört, und dann sagte eine andere
Frau superklug: "Beantragt erst. Es hängt noch vom Gericht ab."
Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die
Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam
erst gegen sieben Uhr abends von der Arbeit.
Peter öffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam
den Rosenstrauß auf den Tisch und holte sich in der Küche warmes
Wasser zum Rasieren.--
Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, überfiel ihn auf
einmal ein maßloses Zittern, und eine Totenblässe überzog sein Gesicht.
Mit Gewalt straffte er seine Füße. Dann nahm er endlich den Strauß
und verließ die Wohnung.
Es war schon dunkel, als er vor der Tür des Staatsanwalts Petersen
stand und läutete.
"Ich möchte gern ... wenn es erlaubt ist ... dem Herrn Staatsanwalt diese
Blumen bringen ... und--und gratulieren," stotterte er dem Mädchen ins
Gesicht. Das ließ ihn ein und führte ihn in ein Empfangszimmer. Nach
ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltür auf, und Peter stand vor dem
Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine steinern ernste
Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und er lächelte
geschmeichelt.
Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den
Rosenstrauß und stotterte devot: "Für ... für den außerordentlichen
Eindruck, den ich von Ihrer Anklagerede empfing ... nur eine kleine
Erkenntlichkeit meiner Wenigkeit, Herr ... Herr Staatsanwalt, Herr....!"
Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung
den Strauß aus der Hand, führte ihn an die Nase und sog in vollen
Zügen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah ...!" und drehte
sich lächelnd um, zur anderen Tür schreitend: "Das muß ich gleich
meiner Frau sagen...."
Jetzt, da er ihm den Rücken zugewendet hatte, rief Peter plötzlich mit
schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! ... einen Augenblick ..." und er
lächelte, wie um sich zu besinnen ... "sind drei ... aber nein, nein! Das
stimmt nicht! ... Zehn und zwölf, verstehn Sie ... sind?"
Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschlüssig.
Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen:
"Verstehn Sie ... zehn und zwölf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen
Monat--ein Jahr--zwei!--drei!--vier--zwölf Jahre! Zwölf Jahre!!"
Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustürzen konnte, stieß ihm
Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, daß er
lautlos zusammenbrach und vornüber hinfiel. Dumpf hallte es. Der
Körper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen.
Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwölf Schritte--einen Tag,
einen Monat--ein Jahr--zwölf Jahre, zwölf----"
Die Tür ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weißes
flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei:
"Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,--Zwölf Jahre Grab!
Verstehn Sie ... Das ausgestochene Aug'! Die Würmer! Zwölf Jahre ...
Verstehn Sie! Zwölf Jahre Nirgends! Nicht Hölle! Nicht Welt!

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