Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 9

Joseph M. Hägele
heute nur nicht in Ursulas Haus gewesen w?re! ... Die Ursula war eine Gevatterin seiner Mutter und Gotte dreier seiner jüngern Geschwister, hatte ihn von Kindesbeinen an geliebt und geehrt, doch wer ihr Haus mit keinem Schritte mehr betrat und ihr auf der Stra?e fortan auswich, das war er, und zwar de?halb, weil er meinte, sie hielte ihn in ihrem Herzen für einen religionsfeindlichen Menschen, der sich nichts daraus mache, am Freitag zu tanzen und aufzuspielen!
Hatte es früher schon schlechte und verrufene Leute im Dorfe gegeben, so gab es allm?lig auch Aufgekl?rte, denn mancher, der als frommer, züchtiger Rekrut fortgegangen war und auf Urlaub heimkam, hatte die Welt in der Stadt und in der Kaserne mit neuen Augen betrachten gelernt und der reiche Max aus dem Rindhofe wanderte jetzt flei?ig in die nahe Stadt, wo er in jeder Bierkneipe gescheidte Leute und genug kirchenfeindliche Zeitungen fand. Der arme Benedict regierte die Jungen im Dorfe, der reiche Max sah dies nicht gern, suchte und bekam auch Anhang und da? der vielgepriesene "Zeitgeist" auch in diesem D?rflein zu rumoren anfange, zeigte sich vor dem Frohnleichnamsfeste. Seit urdenklichen Zeiten sa?en jedes Jahr am Tage vor dem Frohnleichnamsfeste die M?dchen in der Schulstube und arbeiteten oft bis Mitternacht, um das Kreuz und den Altar, zu welchem die Prozession morgen aus dem Pfarrdorfe herüberzog, mit den stattlichsten Kr?nzen und Blumen zu schmücken. Sie h?tten es sich um keinen Preis nachsagen lassen, der Herrgott am Kreuz und das ganze Kreuz sammt dem Altare seien nicht mit Kr?nzen, Blumen und B?ndern aufs reichlichste ausstaffirt gewesen. Die B?nder wurden von den M?dchen und deren Müttern geliefert und heuer kommandirt der Benedict den ganzen Tag im Schulhause, macht den stattlichsten Kranz, der die Dornenkrone bedecken sollte und verspricht Abends beim Fortgehen, er werde der erste sein, welcher morgen früh den ersten Kranz ans Kreuz hefte.
Dem schwülen Tage folgte eine Regennacht, welche zu stürmisch war, als da? man h?tte fürchten m?gen, die Prozession werde darunter leiden und noch um 11 Uhr sa?en einige M?dchen in der Schulstube, um beim Licht die letzten Zurüstungen zu treffen. Der Benedict liegt im Bett und will sich eben vom Rauschen des Sturmes in den Baumwipfeln und vom Pl?tschern des Regens in Schlaf lullen lassen, als es leise an seinem Fensterlein klopft und ruft. Er springt auf, denn er kennt diese freundliche Stimme und verwundert sich über den seltsamen Ton derselben.
"H?r', Benedict, jetzt sind wir M?dchen zu Schanden gemacht," berichtet die Margareth, welche den hübschen Kopf in das Kammerfensterlein hineinstreckt, damit das Wasser vom Dache sie nicht ers?ufe.
"Verlassen und verrathen sind wir, alle Mühe war umsonst, denn die Buben haben keine Maien geholt!" best?tigt die Susanne. "Was? keine Maien?" sagt der Benedict erschrocken und Margareth sammt der Jutta und dem Vefele, die auch herbeieilen, erz?hlen, der Max habe die Buben aufgehetzt, heuer keine Maien im Walde zu holen und gesagt, es sei eine Schande für so gro?e Esel, sich noch mit solchen "Kindereien" abzugeben. Da? der Max nicht umsonst redete, w?hrend der Benedict im Schulhause sa?, stellte sich um Mitternacht sonnenklar heraus. Die Maien sind jedoch gleichsam die Rahmen, welche das Kreuz und den Altar liebend umfassen und wie armselig sieht ein Bild ohne Rahmen drein? Je gr??er, sch?ner und frischer die Maien, desto gr??er die Ehre für die M?dchen, an den Maien erkannten die Leute aller benachbarten D?rfer, wie Buben und M?dchen in diesem Jahre zusammen standen, seit Menschengedenken hatten die Maien nie gefehlt, drum that es den M?dchen heuer desto weher, sie sahen nicht nur den Herrgott vernachl?ssigt, sondern sich selbst beschimpft.
Rathlos steht der Benedict, ?ngstlich stehen seine Herzk?fer vor dem Fensterlein, der Regen stürzt wie aus Kübeln vom dunkeln Nachthimmel und ob den Vogesen, dem Rheinthale und Schwarzwalde zugleich flammen Blitze und kanonirt hundertstimmiger Donner.
"Geht heim, ihr Lieben, Maien müssen her, ich verlasse Euch nicht!" sagt endlich der Benedict, reicht den M?dchen die Hand, schlie?t das Fensterlein und schleicht zu den Eltern. Die Mutter hat all ihre Seiden- und Taffetb?nder ins Schulhaus geschickt, sie wei?, da? sich die M?dchen heuer ganz besonders abmühten, jetzt erz?hlt er, wie schimpflich die Buben gehandelt und die Mutter st??t ihren Alten aus dem Schlafe. "W?r′ der Werktag nicht schon vorbei und der Fronleichnamstag angebrochen, so ginge ich wahrlich trotz Sturm und Wetter in den Wald!" meint der Benedict z?gernd, um den Eltern an den Puls zu fühlen.
"Was an Sonn- und Feiertagen zu Gottes Ehre gearbeitet wird, ist keine Sünd′! antwortet die Mutter."
"Aber woher Maien? Die Weidenst?cke am Bach sind abgehauen, ... das Unwetter ist grausig, ich mü?te eben junge Birklein holen, ′s ist fast eine Stunde in den Wald und wenn mich der Cyriak, der Waldhüter erwischte, g?be es theure Maien!" meint der Benedict. "Ah bah! Cyriak hin oder her, wenn′s dir Ernst w?re, würdest du nicht darnach fragen, ob es theure oder wohlfeile Maien g?be!
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