Zerbin | Page 9

Jacob Michael Reinhold Lenz
sich unges?umt aus dem Staube machte, ohne nachher, weder seiner Geliebten, noch unserm Zerbin, seinem Mentor, jemals mit einer Silbe Nachricht von sich zu geben.
Zerbin wu?te also auch die anderweitigen Schulden, die er, auf die Rechnung der vom Grafen zu bekommenden rückst?ndigen Pension, gemacht hatte, nicht zu bezahlen; er mu?te eine ganz andre Haushaltung anfangen. Um seinen Hausherrn in guter Laune zu erhalten, redete er nun, bisweilen r?tselhaft, bisweilen ziemlich deutlich, von gewissen Absichten, die er auf seine Tochter h?tte, deren Jugend und Sch?ne sehr stark zu sinken anfing. Sobald Marie bei ihren geheimen Zusammenkünften sich unruhig darüber bezeigte, wu?te er sie mit der Notwendigkeit dieser Maskerade zufrieden zu sprechen, damit ihn der Herr des Hauses nicht wegen Hausmiete und Kostgeld mahnte, welches in der Tat auch nicht erfolgte, und seine Sicherheit und stillschweigende Verbindlichkeit gegen Hortensien immer gr??er machte. Seine ganze Hoffnung, der letzte Anker, den er ausgeworfen, stand nun auf die Antwort von seinem Vater. Man stelle sich Mariens Entzücken vor, als sie ihm selbst den Brief aus Berlin von dem Posthause brachte, und den übergang zu ihrer Verzweiflung, als sie nun aus seinem Munde h?rte, da? auch hier der Tau zerrissen sei. Sein Vater war, durch einen der kühnsten Diebst?hle, da man ihn selbst und seine alte Magd geknebelt hatte, rein ausgeplündert worden, und itzt im allerkümmerlichsten Mangel, da er, wegen seines bekannten Wuchers, bei niemand einmal Mitleiden fand. Er bat seinen Sohn, ihn, wo m?glich, mit Geld zu unterstützen, oder zu sich nach Leipzig kommen zu lassen. Es blieb Marien nichts übrig, als Weinen und Schluchzen; sie warf sich ihm zu Fü?en; er sollte mit ihr in ihr Dorf gehen, um ihr bei ihrem Vater Vergebung zu verschaffen. Alles war umsonst; er stellte ihr vor, da? eine Geschichte von der Art, wenn sie bekannt würde, ihn unfehlbar um seine Stelle bei der Universit?t bringen würde, da? er sich durch sein Ansehen, durch seinen Kredit, durch seine Gelehrsamkeit wohl noch so weit bringen würde, sein berlinisches Projekt mit ihr auch hier in Leipzig auszuführen, da? er ein Werk unter der Presse h?tte, für welches ihm der Buchh?ndler dreihundert Taler geboten, da? er die zur Erziehung des Kindes verwenden wolle, da? sie ihm versprechen solle, sich an ihre Freundin in der Vorstadt zu wenden, ihr ihren Zustand zu gestehen, eine schleunige Krankheit bei ihr vorzuschützen, unter dem Vorwand in ihrem Hause zu bleiben, bis die Entbindung vorüber w?re, und unter der Zeit eine andere Magd in ihre Stelle zu mieten usw. Sie versprach alles aus Liebe zu ihm; sie ging von ihm, fest entschlossen, allen m?glichen Stürmen des Schicksals Trotz zu bieten, um ihm seine Ehre und guten Namen in der Stadt zu erhalten; an den ihrigen dachte sie nicht einmal. Ihre H?nde noch na? von den Tr?nen, mit denen er sie beschworen hatte, die Sache geheimzuhalten, dachte, sah, begriff sie keine Schwierigkeiten bei dieser Sache, fing sogleich an, den Anfang ihrer Rolle zu spielen, und sich bei ihrer Jungfer über Kopfweh und Fieberschauer zu beklagen. Den Nachmittag hatte sie den Plan gemacht, ihrer Freundin einen Besuch zu geben, und da, gleich als ob sie unvermutet von einem hitzigen Fieber überfallen w?re, sich zu Bette zu legen.
Aber wie wenig wu?te das gute M?dchen, was sie versprochen hatte! Als sie zu ihrer Freundin kam, fand sie sie eben im Ausr?umen begriffen, weil sie ihre Miete aufgesagt hatte, und ein anderes Haus beziehen wollte. Mann und Frau hatten, wie es bei dergleichen Gelegenheit zu gehen pflegt, H?ndel zusammen bekommen, und maulten itzt miteinander. Sie ward mit einem bew?lkten Gesicht empfangen; die Furcht, ihr zur ungelegenen Stunde zu kommen, verschlo? ihr den Mund. Das Herz entfiel ihr; all ihre Anschl?ge verwirrten sich, sie wu?te nicht aus noch ein. Sie sagte ihrer Freundin, da? ihr nicht wohl w?re; sie ward kaltsinnig bedauert. Ach, ein Ton der Stimme, eine trockene Miene ist, in dergleichen Gelegenheiten, schüchternen und zarten Seelen ein Donnerschlag! Sie kam halb ohnm?chtig wieder nach Hause, und doch liebte sie Zerbinen zu sehr, um ihn durch Erz?hlung dieses ersten mi?lungenen Versuchs in Bekümmernis zu setzen. Sie sah nun ihr Schicksal als eine Strafe Gottes für ihren Leichtsinn an, der h?chste Grad der Melancholei, und fand ihren Trost, ihre Wollust in verborgenen Tr?nen. Sie wagte es dennoch, nach ein paar Tagen zum andernmal hinzugeben, nachdem sie Zerbinen eingebildet hatte, es sei alles schon in Richtigkeit: sie fand Ihre Freundin nicht zu Hause. Auch dies sah sie als etwas übernatürliches an; ihr Herz entfiel ihr immer mehr; es war, als ob ihr jemand zuriefe: du sollst dich deiner Freundin nicht entdecken!--O Richter, Richter, habt ihr die Gefühle eines jungen M?dchens je zu Rat gezogen, wenn ihr über ihre Tat zu sprechen hattet! Ahndet ihr, was das hei?t, seine Schande einer andern entdecken, was für überwindung das kostet, was für ein Kampf zwischen Tod
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