zum Marktschreier.]
MARKTSCHREIER [vor seiner Bude mit seiner Frau in Hosen und
einem kostümierten Affen]: Meine Herren, meine Herren! Sehn Sie die
Kreatur, wie sie Gott gemacht: nix, gar nix. Sehn Sie jetzt die Kunst:
geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein' Säbel! Der Aff ist Soldat; s'
ist noch nicht viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht. Ho!
Mach Kompliment! So - bist Baron. Gib Kuß! - [Er trompetet:] Wicht
ist musikalisch. - Meine Herren, hier ist zu sehen das astronomische
Pferd und die kleine Kanaillevögele. Sind Favorit von alle gekrönte
Häupter Europas, verkündigen den Leuten alles: wie alt, wieviel Kinder,
was für Krankheit. Die Repräsentationen anfangen! Es wird sogleich
sein Commencement von Commencement.
WOYZECK: Willst Du?
MARIE: Meinetwegen. Das muß schön Ding sein. Was der Mensch
Quasten hat! Und die Frau Hosen!
[Beide gehn in die Bude.]
TAMBOURMAJOR: Halt, jetzt! Siehst du sie! Was ein Weibsbild!
UNTEROFFIZIER: Teufel! Zum Fortpflanzen von
Kürassierregimentern!
TAMBOURMAJOR: Und zur Zucht von Tambourmajors!
UNTEROFFIZIER: Wie sie den Kopf trägt! Man meint, das schwarze
Haar müßt' sie abwärts ziehn wie ein Gewicht. Und Augen -
TAMBOURMAJOR: Als ob man in ein' Ziehbrunnen oder zu einem
Schornstein hinunter guckt. Fort, hintendrein! -
Das Innere der hellerleuchteten Bude
MARIE: Was Licht!
WOYZECK: Ja, Marie, schwarze Katzen mit feurigen Augen. Hei, was
ein Abend!
DER BUDENBESITZER [ein Pferd vorführend]: Zeig dein Talent!
Zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche
Sozietät! Meine Herren, dies Tier, was Sie da sehn, Schwanz am Leib,
auf seine vier Hufe, ist Mitglied von alle gelehrt Sozietät, ist Professor
an unsre Universität, wo die Studente bei ihm reiten und schlagen
lernen. - Das war einfacher Verstand. Denk jetzt mit der doppelten
Raison! Was machst du, wann du mit der doppelten Raison denkst? Ist
unter der gelehrten Société da ein Esel? - [Der Gaul schüttelt den Kopf.]
- Sehn Sie jetzt die doppelte Raison? Das ist Viehsionomik. Ja, das ist
kein viehdummes Individuum, das ist ein Person, ein Mensch, ein
tierischer Mensch - und doch ein Vieh, ein Bête. - [Das Pferd führt sich
ungebührlich auf.] - So, beschäme die Société. Sehn Sie, das Vieh ist
noch Natur, unideale Natur! Lernen Sie bei ihm! Fragen Sie den Arzt,
es ist sonst höchst schädlich! Das hat geheißen: Mensch, sei natürlich!
Du bist geschaffen aus Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr sein als
Staub, Sand, Dreck? - Sehn Sie, was Vernunft: es kann rechnen und
kann doch nit an den Fingern herzählen. Warum? Kann sich nur nit
ausdrücken, nur nit explizieren, ist ein verwandelter Mensch. Sag den
Herren, wieviel Uhr ist es! Wer von den Herren und Damen hat ein Uhr?
ein Uhr?
UNTEROFFIZIER: Eine Uhr? - [Zieht großartig und gemessen eine
Uhr aus der Tasche:] Da, mein Herr!
MARIE: Das muß ich sehn. - [Sie klettert auf den ersten Platz;
Unteroffizier hilft ihr.]
TAMBOURMAJOR: Das ist ein Weibsbild.
Mariens Kammer
MARIE [sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der
Hand]: Der andre hat ihm befohlen, und er hat gehen müssen! -
[Bespiegelt sich:] Was die Steine glänzen! Was sind's für? Was hat er
gesagt? - - Schlaf, Bub! Drück die Augen zu, fest! - [Das Kind
versteckt die Augen hinter den Händen.] - Noch fester! Bleib so - still,
oder er holt dich! - [Singt:] Mädel, mach's Ladel zu 's kommt e
Zigeunerbu, führt dich an deiner Hand fort ins Zigeunerland. [Spiegelt
sich wieder.] - 's ist gewiß Gold! Wie wird mir's beim Tanzen stehen?
Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stück Spiegel, und
doch hab ich ein' so roten Mund als die großen Madamen mit ihrem
Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die ihnen die
Händ küssen. Ich bin nur ein arm Weibsbild! - [Das Kind richtet sich
auf.] - Still, Bub, die Augen zu! Das Schlafengelchen! Wie's an der
Wand läuft. - [Sie blinkt ihm mit dem Glas:] Die Auge zu, oder es sieht
dir hinein, daß du blind wirst!
[Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf, mit den Händen nach
den Ohren.]
WOYZECK: Was hast du?
MARIE: Nix.
WOYZECK: Unter deinen Fingern glänzt's ja.
MARIE: Ein Ohrringlein; hab's gefunden.
WOYZECK: Ich hab' so noch nix gefunden, zwei auf einmal!
MARIE: Bin ich ein Mensch?
WOYZECK: 's ist gut, Marie. - Was der Bub schläft! Greif ihm unters
Ärmchen, der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen stehn ihm auf der
Stirn; alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme
Leut! - Da ist wieder Geld, Marie; die Löhnung und was von meim
Hauptmann.
MARIE: Gott vergelt's, Franz.
WOYZECK: Ich muß fort. Heut abend, Marie! Adies!
MARIE [allein, nach einer Pause]: Ich bin doch ein schlechter Mensch!
Ich könnt' mich erstechen. - Ach, was Welt! Geht doch alle zum Teufel,
Mann und Weib! Vorige Seite Nächste Seite
Beim Doktor
[Woyzeck.
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