Wo Gritlis Kinder hingekommen sind | Page 2

Johanna Spyri
nun ihre Angelegenheit vor, die Mutter ?ngstlich fragend, ob sie meine, ein Gang durch den Garten d��rfte schon gewagt werden, das T?chterchen dringend bittend, sie m?chte doch ja sagen dazu. Die alte Klarissa war eine Pers?nlichkeit, bei der jeder im ganzen Hause, von der Herrin bis hinunter zum jungen Laufburschen, Rat und Hilfe suchte in jeglicher Not und Verlegenheit. Wer auch nur einmal in die freundlichen, guten Augen der alten Klarissa schaute, der mu?te gleich ein Vertrauen zu ihr fassen, denn jedes Menschenkind schaute sie liebevoll, wie mit den Augen einer Mutter an. ?Klarissa, sag, da? wir hinausgehen k?nnen?, bat das kranke Kind noch einmal inst?ndig.
?Liebe Frau Stanhope, wollen wir es nicht versuchen?? sagte nun Klarissa, zu der Mutter gewandt. ?Die Luft ist lieblich und alle V?gel singen, als wollten sie uns hinausrufen.?
?Nun, wenn du denn meinst, Klarissa, so wollen wir es tun?, stimmte die Mutter bei, und nun wurde der Friedrich herbeigeholt, der langj?hrige Bediente; der hatte das kranke T?chterchen die Treppe hinunterzutragen, damit es nicht schon ganz erm��det im Garten ankomme, denn seine Kr?fte waren so bald ersch?pft. Unten angekommen, nahmen die beiden Frauen das Kind in ihre Mitte und f��hrten es durch den sonnigen Garten. Auf allen Zweigen zwitscherten lustige V?gelein, die Rosen dufteten und ganze Scharen von bunten Schmetterlingen flatterten fr?hlich in der lauen Luft umher.
?Nora, f��hlst du dich wohl hier?? fragte die besorgte Mutter.
?O ja, es ist so sch?n?, entgegnete das Kind, ?aber ich m?chte so gern zu der steinernen Bank hinunter und in die Wellen schauen, wo die Zweige hineintauchen.?
Der Weg wurde fortgesetzt, die gr��nen Rasenterrassen hinab bis unter die alten Lindenb?ume, wo die steinerne Bank stand, fast verborgen von den tief herunterh?ngenden ?sten, deren bl?tterreiche Enden leise auf dem schimmernden Wasser sich wiegten. Die Lindenb?ume standen in der Bl��te und erf��llten ringsum die Luft mit s��?em Duft. Nora sa? nun auf der Bank und schaute still den Zweigen im Wasser und den forteilenden Wellen zu.
?O, wenn ich auch so fortziehen k?nnte, Mama; aber ich bin immer m��de. Ich m?chte auch so flink umherh��pfen und so fr?hlich singen, wie die V?gel da oben in den Linden! O, es ist so sch?n da, aber ich bin immer m��de.?
?Liebes Kind, du wirst ja kr?ftiger werden?, tr?stete die Mutter; aber sie sah so aus dabei, als habe sie selbst am n?tigsten, da? ihr der Trost werde, den sie zu geben versuchte. ?Heute kommt auch der Arzt, und wir fragen ihn, was wir den Sommer zu deiner St?rkung tun sollen. Jetzt m��ssen wir wohl wieder ins Haus zur��ckkehren; du bist so bleich geworden, Nora, was ist dir??
Nora versicherte, da? sie nur m��de sei. Es war auch immer so: nach jeder gr??eren Anstrengung kam auf ihr bleiches Gesichtchen eine noch gr??ere Bl?sse. Sie erreichte auch nur mit M��he das Haus wieder, und nachdem sie von Friedrich die Treppen hinaufgetragen worden war, wurde sie auf das Sofa gelegt, wo sie eine Zeitlang ganz still und ohne Regung lag, um von der Anstrengung auszuruhen.
Gegen Mittag kam der erwartete Arzt. Auf der Mutter eingehenden Bericht ��ber die ��berhandnehmende Kraftlosigkeit ihres T?chterchens erkl?rte er, es m��sse eine Luftver?nderung stattfinden, und zwar die Versetzung in eine st?rkende Bergluft f��r den ganzen Sommer. Nach einigem Nachsinnen f��gte der Doktor bei, er werde sich gleich schriftlich an einen Studienfreund wenden, der in der Schweiz lebe, und ihn um Rat fragen, denn zu hoch hinauf d��rfe die junge Kranke auch nicht gebracht werden. Sobald er Antwort von seinem Freunde erhalten h?tte, w��rde er wiederkommen, um Frau Stanhope davon Mitteilung zu machen. Damit verabschiedete sich der Arzt.
Gegen Abend sa? Nora wieder in ihrem Lehnstuhl am Fenster und schaute still mit m��den Blicken hinaus, wo die Abendsonne goldene Streifen ��ber den gr��nen Rasen warf und die Rosenbl?tter durchleuchtete, die hier und da von den Strahlen getroffen wurden. Die alte Klarissa sa? am Arbeitstischchen der Nora vor��ber, und ihre treuen Augen erhoben sich von Zeit zu Zeit von der Arbeit und folgten den Blicken des kranken Kindes.
?Klarissa?, sagte Nora jetzt, ?sag mir einmal wieder das alte Lied vom Paradies.?
Klarissa legte ihre Arbeit weg. ?Einmal wollen wir es wieder zusammen singen, Kind, wenn du etwas kr?ftiger bist; jetzt will ich dir's sagen?, und sie legte ihre H?nde ineinander und begann:
?Es flie?t ein Strom kristallenklar Durch immer gr��ne Auen, Da gl?nzt der Lilien wei?e Schar Im Duft, dem himmelblauen.
Und Rosen duften, Rosen gl��hn Auf sonnengoldner Wiese, Und V?gel jauchzen laut im Gr��n: Wir sind im Paradiese!
Und immer milde L��fte wehn Auf all den Blumenwegen, Und Menschen wie im Traume gehn Und kommen sich entgegen.
Und gr��?en sich all��berall In Staunen und in Wonne. Sie kommen aus dem dunkeln Tal Ins Land der ew'gen Sonne.
Und ziehen selig hin und her Und wissen nichts von Leide, Die kennen keine Tr?nen mehr, Die kennen lauter Freude.?
Als Klarissa geendet hatte, war eine Zeitlang alles still; Nora schien
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