Wissenschaft der Logik, vol 2 | Page 9

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
zuerst nur mit
dem Princip zu beschäftigen, und damit sich auf das Weitere nicht
einzulassen, thut diese Gründlichkeit in ihrem Geschäfte selbst das
Gegentheil hiervon, vielmehr das Weitere, d.i. andere Kategorien als
nur das Princip ist, andere Voraussetzungen und Vorurtheile
herbeizubringen. Solche Voraussetzungen, daß die Unendlichkeit
verschieden von der Endlichkeit, der Inhalt etwas Anderes als die Form,
das Innere ein Anderes als das Äußere, die Vermittelung ebenso nicht
die Unmittelbarkeit sey, als ob einer dergleichen nicht wüßte, werden
zugleich belehrungsweise vorgebracht und nicht sowohl bewiesen, als
erzählt und versichert. In solchem Belehren als Benehmen liegt--man
kann es nicht anders nennen,--eine Albernheit; der Sache nach aber
Theils das Unberechtigte, dergleichen nur vorauszusetzen und geradezu
anzunehmen, Theils aber noch mehr die Unwissenheit, daß es das
Bedürfniß und Geschäft des logischen Denkens ist, eben dieß zu
untersuchen, ob denn so ein Endliches ohne Unendlichkeit etwas
Wahres ist, ebenso solche abstrakte Unendlichkeit, ferner ein formloser
Inhalt und eine inhaltlose Form, so ein Inneres für sich, das keine
Äußerung hat, eine Äußerlichkeit ohne Innerlichkeit u.s.f.--etwas
Wahres, ebenso etwas Wirkliches ist.--Aber diese Bildung und Zucht
des Denkens, durch welche ein plastisches Verhalten desselben bewirkt
und die Ungeduld der einfallenden Reflexion überwunden würde, wird
allein durch das Weitergehen, das Studium und die Produktion der
ganzen Entwickelung verschafft.
Bei der Erwähnung platonischer Darstellung kann, wer ein
selbstständiges Gebäude philosophischer Wissenschaft in modernen
Zeiten neu aufzuführen arbeitet, an die Erzählung erinnert werden, daß
Plato seine Bücher über den Staat sieben Mal umgearbeitet habe. Die
Erinnerung hieran, eine Vergleichung, insofern sie eine solche in sich
zu schließen schiene, dürfte nur um so mehr bis zu dem Wunsch treiben,
daß für ein Werk, das, als der modernen Welt angehörig, ein tieferes
Princip, einen schwereren Gegenstand und ein Material von reicherm
Umfang zur Bearbeitung vor sich hat, die freie Muße, es sieben und
siebenzig Mal durchzuarbeiten, gewährt gewesen wäre. So aber mußte

der Verfasser, indem er es im Angesicht der Größe der Aufgabe
betrachtet, sich mit dem begnügen, was es hat werden mögen, unter den
Umständen einer äußerlichen Nothwendigkeit, der unabwendbaren
Zerstreuung durch die Größe und Vielseitigkeit der Zeitinteressen,
sogar unter dem Zweifel, ob der laute Lärm des Tages und die
betäubende Geschwätzigkeit der Einbildung, die auf denselben sich zu
beschränken eitel ist, noch Raum für die Theilnahme an der
leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntniß offen lasse.
Berlin, den 7. November 1831.

Die subjektive Logik, oder: Die Lehre vom Begriff.
Dieser Theil der Logik, der die Lehre vom Begriffe enthÄlt, und den
dritten Theil des Ganzen ausmacht, wird auch unter dem besondern
Titel: System der subjektiven Logik, zur Bequemlichkeit derjenigen
Freunde dieser Wissenschaft ausgegeben, die fÜr die hier
abgehandelten, in dem Umfange der gewÖhnlich so genannten Logik
befaßten Materien ein größeres Interesse zu haben gewöhnt sind, als für
die weitern logischen Gegenstände, die in den beiden ersten Theilen
abgehandelt worden.--Für diese frühern Theile konnte ich auf die
Nachsicht billiger Beurtheiler wegen der wenigen Vorarbeiten
Anspruch machen, die mir einen Anhalt, Materialien und einen Faden
des Fortgangs hätten gewähren können. Bei dem gegenwärtigen darf
ich diese Nachsicht vielmehr aus dem entgegengesetzten Grunde
ansprechen; indem sich für die Logik des Begriffs ein völlig fertiges
und festgewordenes, man kann sagen, verknöchertes Material vorfindet,
und die Aufgabe darin besteht, dasselbe in Flüssigkeit zu bringen, und
den lebendigen Begriff in solchem todten Stoffe wieder zu entzünden;
wenn es seine Schwierigkeiten hat, in einem öden Lande eine neue
Stadt zu erbauen, so findet sich zwar Material genug, aber desto mehr
Hindernisse anderer Art, wenn es darum zu thun ist, einer alten,
festgebauten, in fortwährendem Besitz und Bewohnung erhaltenen
Stadt eine neue Anlage zu geben; man muß sich unter anderem auch
entschließen, von vielem sonst Werthgeachtetem des Vorraths gar
keinen Gebrauch zu machen.-Vornehmlich aber darf die Größe des
Gegenstandes selbst zur Entschuldigung der unvollkommenen
Ausführung angeführt werden. Denn welcher Gegenstand ist erhabener
für die Erkenntniß, als die Wahrheit selbst?--Der Zweifel aber, ob nicht

dieser Gegenstand es eben sey, der einer Entschuldigung bedürfe, liegt
nicht aus dem Wege, wenn man sich des Sinns erinnert, in welchem
Pilatus die Frage: _was ist Wahrheit?_ sagte;--nach dem Dichter:--mit
der Miene des Hofmanns, die kurzsichtig, doch lächelnd des Ernstes
Sache verdammet.
Jene Frage schließt dann den Sinn, der als ein Moment der Höflichkeit
angesehen werden kann, und die Erinnerung daran in sich, daß das Ziel,
die Wahrheit zu erkennen, etwas bekanntlich Aufgegebenes, längst
Abgethanes, und die Unerreichbarkeit der Wahrheit auch unter
Philosophen und Logikern von Profession etwas Anerkanntes
sey?--Wenn aber die Frage der Religion nach dem Werthe der Dinge,
der Einsichten und Handlungen, die dem Inhalte nach einen gleichen
Sinn hat, in unsern Zeiten ihr Recht sich wieder mehr vindicirt, so muß
wohl die Philosophie hoffen, daß es auch nicht mehr so auffallend
gefunden werde, wenn sie wieder, zunächst in ihrem unmittelbaren
Felde, ihr wahrhaftes Ziel geltend macht, und nachdem sie in die Art
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