Von Haparanda bis San Francisco | Page 3

Ernst Wasserzieher
davon, an Holz- und Sägemühlen vorbei,
immer einem hübschen, sanft ansteigenden Waldwege folgend. Zu
beiden Seiten, bald rechts, bald links, rauschte die Ilse zu Thal; hoch
oben über dem Kessel hing der Ilsenstein mit seinem mächtigen
Eisenkreuz. Bald jedoch verlor die Wanderung den behaglichen
Charakter; der Himmel, der uns eine Weile gelächelt hatte, öffnete
seine Schleusen von neuem und überströmte uns mit kühlendem Naß.
Langsam aber stetig rückten wir vor; wir waren nicht mehr bei frischen
Kräften. Wir hätten morgens von der letzten Station vor dem Aufstieg
aufbrechen sollen, um den Tag vor uns zu haben.
Nach anderthalb Stunden hörte ich die Ilsefälle von ferne brausen, die
trotz ihrer Kleinheit einen erquickenden Anblick gewähren mit den
schäumenden, weißen Wogen, mit ihren moosigen Felsen und
tannenumkränzten steilen Ufern. Durch die Büsche schimmerte jetzt
auch der erste Schnee. Um uns gehörig zu wappnen gegen diesen Feind,
der bald in Masse den Fuß hemmen sollte, machten wir Rast und
stärkten uns durch einen Imbiß, wobei wir von einem Holzfäller
Erkundigungen über Länge und Beschaffenheit des bevorstehenden
Weges einzogen. Drei Stunden wenigstens hatten wir nach Angabe
dieses Biederen noch zurückzulegen, wenn wir aber den "Fautstieg"
einschlügen, setzte er hinzu, dann würden wir wohl eher ankommen; es
käme übrigens auf eins hinaus. Es war noch nicht 5 Uhr; bald nach 7
Uhr hofften wir oben zu sein. Wir schritten vorwärts; auf dem Wege
selber machte sich der Schnee schon bemerkbar, hier und da leuchteten
uns weiße Stellen entgegen, die sich fortwährend vergrößerten und
schließlich den Boden völlig bedeckten, vorläufig in der Höhe eines
halben Meters, allmählig aber bis anderthalb und zwei Meter steigend.
In dieser Höhe ging es nun 4 Stunden lang. Der Schnee befand sich in
einem Zustande des Schmelzens, er war bereits so weich, daß man mit
jedem Schritt bis an den Leib einsank; die äußere Kruste war aber
zufolge der niederen Abendtemperatur übergefroren, sodaß es
Anstrengung kostete, den Fuß wieder herauszuziehen. Dichter Nebel
senkte sich mit geisterhafter Schnelle auf Berg und Wald und stimmte
unser Gemüt melancholisch. Keuchend stampften wir bergauf; von Zeit

zu Zeit sandten wir einen kräftigen Ruf, wie Hurra! Haut ihn! und dergl.
in die Ferne. Nach langem Leiden kamen wir an eine Biegung des
Weges, wo ein Wegweiser besagte, daß es sowohl nach Schierke als
nach dem Brockenhause eine Stunde sei. Durch diese Nachricht neu
belebt, gingen wir weiter, wenn man unser mühsames Stolpern so
nennen kann. Aber wir vergaßen, daß diese Berechnung für einen
normalen Weg gilt, nicht für einen, der in Manneshöhe mit Schnee
bedeckt ist. Die Kniekehlen begannen zu schmerzen, die Stiefel waren
mit Schneemassen angefüllt, das lustig zwischen den Zehen herumrann,
die Beine versagten fast den Dienst, die Augen thaten weh durch den
Anblick der weiten, weißen Fläche; doch weiter, immer weiter!
Dunkler und immer dunkler ward es; kaum konnte ich meinen
Gefährten, der etwa 30 Schritt vor mir hertaumelte, erkennen; und
schwach umrissen tauchte eine Telegraphenstange nach der andern vor
den Blicken auf. Alle 5 Minuten griffen wir zur Flasche, ohne die wir
sicherlich nicht bis zu Ende ausgehalten hätten. Schneckenähnlich
wankten wir weiter, schneidend kalt umpfiff uns der Wind und kühlte
die schweißgebadete Stirn, und immer noch nichts von einer
menschlichen Wohnung, immer wieder die eintönigen
Telegraphenstangen. Es flimmerte mir vor den Augen, ich brach bei
jedem Schritt zusammen; da plötzlich--o Wonne--war es eine
Täuschung?--Hundegebell! Wie elektrisiert sprang ich vorwärts, da
mußte das Brockenhaus sein--jetzt eine Stimme--zu sehen war nichts in
der Finsternis--richtig, ein paar Schritt vor mir stieg ein düsteres
Gebäude auf; Blitz, der Hund, umsprang uns freudig wedelnd, und wir
standen in dem hell erleuchteten Flur des Brockenhauses, vor uns zwei
Männer, der Oberkellner und der Hausknecht, die einzigen Bewohner
des Brockens im Winter. Drei donnernde Hurrahs erschallten wie aus
einem Munde, daß die Wände zitterten; vor Freude, festen Boden unter
den Füßen zu haben, wäre ich dem Oberkellner am liebsten um den
Hals gefallen. Und nun rasch hinauf in das Zimmer, das durch einige in
den Ofen geworfene Scheite Holz bald behaglich durchwärmt war, und
nun die Kleider aus, die wie aus dem Wasser gezogen waren. Und nun
hinein in den beiden Betten, aber nicht zum Schlafen! Der Oberkellner
setzte ein Tischchen zwischen uns, auf dem bald eine große
Punschbowle dampfte, und setzte sich nebst dem Hausknecht heran.
Und nun wurde fleißig angestoßen, bis mir die Augen zufielen und ich

in einen tiefen Schlaf fiel.
Am folgenden Morgen belohnte uns eine herrliche Fernsicht; neu
gestärkt wanderten wir dann weiter, zunächst nach Schierke und
Braunlage.
Noch vieles Schöne sahen wir in den nächsten Tagen; die dauerndste
Erinnerung aber blieb uns die Brockenwanderung im Schnee.
FUSSNOTEN:
[1] Jetzt längst wohlbestallter Direktor des Höheren technischen
Instituts zu Köthen i. Anhalt.

III.
Nauvoo am Mississippi, die alte Mormonenstadt.[2]
Von den Mormonen spricht man heuzutage kaum noch, sie sind, in
Europa wenigstens, längst in den
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 62
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.