Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
sie setzte ihn dar��ber zu Rede, und als er es gestand, schien sie sehr verdrie?lich zu werden. Sie bestand darauf, da? er sie zur��cknehmen sollte, und diese Zumutung machte ihm die bittersten Schmerzen. Er erkl?rte ihr, da? er ohne sie nicht leben k?nne noch wolle; er bat sie, ihm ihre Neigung zu erhalten, und beschwor sie, ihm ihre Hand nicht zu versagen, sobald er versorgt und h?uslich eingerichtet sein w��rde. Sie liebte ihn, sie war ger��hrt, sie sagte ihm zu, was er w��nschte, und in diesem gl��cklichen Augenblicke versiegelten sie ihr Versprechen mit den lebhaftesten Umarmungen und mit tausend herzlichen K��ssen.
Nach ihrer Abreise schien Ferdinand sich sehr allein. Die Gesellschaften, in welchen er sie zu sehen pflegte, reizten ihn nicht mehr, indem sie fehlte. Er besuchte nur noch aus Gewohnheit sowohl Freunde als Lust?rter, und nur mit Widerwillen griff er noch einigemal in die Kasse des Vaters, um Ausgaben zu bestreiten, zu denen ihn keine Leidenschaft n?tigte. Er war oft allein, und die gute Seele schien die Oberhand zu gewinnen. Er erstaunte ��ber sich selbst bei ruhigem Nachdenken, wie er jene Sophistereien ��ber Recht und Besitz, ��ber Anspr��che an fremdes Gut, und wie die Rubriken alle hei?en mochten, bei sich auf eine so kalte und schiefe Weise habe durchf��hren und dadurch eine unerlaubte Handlung besch?nigen k?nnen. Es ward ihm nach und nach deutlich, da? nur Treue und Glauben die Menschen sch?tzenswert mache, da? der Gute eigentlich leben m��sse, um alle Gesetze zu besch?men, indem ein anderer sie entweder umgehen oder zu seinem Vorteil gebrauchen mag.
Inzwischen, ehe diese wahren und guten Begriffe bei ihm ganz klar wurden und zu herrschenden Entschl��ssen f��hrten, unterlag er doch noch einigemal der Versuchung, aus der verbotenen Quelle in dringenden F?llen zu sch?pfen. Niemals tat er es aber ohne Widerwillen, und nur wie von einem b?sen Geiste an den Haaren hingezogen.
Endlich ermannte er sich und fa?te den Entschlu?, vor allen Dingen die Handlung sich unm?glich zu machen und seinen Vater von dem Zustande des Schlosses zu unterrichten. Er fing es klug an und trug den Kasten mit den nunmehr geordneten Briefen in Gegenwart seines Vaters durch das Zimmer, beging mit Vorsatz die Ungeschicklichkeit, mit dem Kasten wider den Schreibtisch zu sto?en, und wie erstaunte der Vater, als er den Deckel auffahren sah! Sie untersuchten beide das Schlo? und fanden, da? die Schlie?haken durch die Zeit abgenutzt und die B?nder wandelbar waren. Sogleich ward alles repariert, und Ferdinand hatte seit langer Zeit keinen vergn��gtern Augenblick, als da er das Geld in so guter Verwahrung sah.
Aber dies war ihm nicht genug. Er nahm sich sogleich vor, die Summe, die er seinem Vater entwendet hatte und die er noch wohl wu?te, wieder zu sammeln und sie ihm auf eine oder die andere Weise zuzustellen. Er fing nun an, aufs genaueste zu leben und von seinem Taschengelde, was nur m?glich war, zu sparen. Freilich war das nur wenig, was er hier zur��ckhalten konnte, gegen das, was er sonst verschwendet hatte; indessen schien die Summe schon gro?, da sie ein Anfang war, sein Unrecht wiedergutzumachen. Und gewi? ist ein ungeheurer Unterschied zwischen dem letzten Taler, den man borgt, und zwischen dem ersten, den man abbezahlt.
Nicht lange war er auf diesem guten Wege, als der Vater sich entschlo?, ihn in Handelsgesch?ften zu verschicken. Er sollte sich mit einer entfernten Fabrikanstalt bekannt machen. Man hatte die Absicht, in einer Gegend, wo die ersten Bed��rfnisse und die Handarbeit sehr wohlfeil waren, selbst ein Comptoir zu errichten, einen Kompagnon dorthin zu setzen, den Vorteil, den man gegenw?rtig andern g?nnen mu?te, selbst zu gewinnen und durch Geld und Kredit die Anstalt ins Gro?e zu treiben. Ferdinand sollte die Sache in der N?he untersuchen und davon einen umst?ndlichen Bericht abstatten. Der Vater hatte ihm ein Reisegeld ausgesetzt und ihm vorgeschrieben, damit auszukommen; es war reichlich, und er hatte sich nicht dar��ber zu beklagen.
Auch auf seiner Reise lebte Ferdinand sehr sparsam, rechnete und ��berrechnete und fand, da? er den dritten Teil seines Reisegeldes ersparen k?nnte, wenn er auf jede Weise sich einzuschr?nken fortfahre. Er hoffte nun auch auf Gelegenheit, zu dem ��brigen nach und nach zu gelangen, und er fand sie. Denn die Gelegenheit ist eine gleichg��ltige G?ttin, sie beg��nstigt das Gute wie das B?se.
In der Gegend, die er besuchen sollte, fand er alles weit vorteilhafter, als man geglaubt hatte. Jedermann ging in dem alten Schlendrian handwerksm??ig fort. Von neuentdeckten Vorteilen hatte man keine Kenntnis, oder man hatte keinen Gebrauch davon gemacht. Man wendete nur m??ige Summen Geldes auf und war mit einem m??igen Profit zufrieden, und er sah bald ein, da? man mit einem gewissen Kapital, mit Vorsch��ssen, Einkauf des ersten Materials im gro?en, mit Anlegung von Maschinen durch die H��lfe t��chtiger Werkmeister eine gro?e und solide Einrichtung w��rde machen k?nnen.
Er f��hlte sich durch die Idee dieser m?glichen T?tigkeit sehr erhoben. Die herrliche Gegend, in der ihm
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