Stufen | Page 7

Christian Morgenstern
mein Gehirn ist auf immer verloren. Und ich brach das schauerliche Experiment ab. Jetzt, etwa f��nfzehn Jahre sp?ter, droht mir die gleiche Gefahr am lichten Tage. Es begann an einem st?hlern blauen Fr��hlingsabende in einer Gartenanlage in Obermais, mit dem Blick auf die dem Vinschgau vorgelagerten Ketten. Die Berge formten sich ungef?hr wie zu einem Maulwurfsh��gel zusammen, die Ortschaft, die Gegend um mich verloren ihre Wichtigkeit. Meine Mulde erschien mir nicht bedeutender als der Abdruck eines Daumenballens in einer Wachskugel, und mich trug der riesige doch kleine Planet wie ein Infusor auf seinem R��cken rund durch den Raum. Ein leichtes geistiges Schwindelgef��hl, ein Vorgef��hl von Seekrankheit des Geistes erfa?te mich. Die Begriffe oben und unten gingen in einem dritten unter. Ich sa? da nur einfach von Luftdrucksgnaden.
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Wenn ich das Gegenw?rtige nicht so liebte, wenn ich diese Liebe nicht h?tte wie einen gro?en und sicheren Fallschirm, ich w?re l?ngst ins Bodenlose gefallen.
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Da stamme ich nun von Malern -- und mu? den Zusammenbruch der Natur als eines Bildes in mir erleben!
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Ich bin wie einer, der ohne F��hrer, nur so nach Karten und gelegentlicher Auskunft von Hirten und Wanderern ins Hochgebirge hineinsteigt. Niemand ahnt, mit was f��r Martern ich das oft zahlen mu? und wie mir ein schneller Tod oft g?ttliche Wohltat w?re. Nein, mein 'Dilettantismus' ist kein Spa?, keine Koketterie; er ist ein Schicksal, aber ich kann ihm nicht entrinnen; denn war mein Geist auch allezeit willig, meiner Physis fehlte es allezeit an jener letzten besten Energie, die sekundieren mu?, wo irgend etwas Gro?es auf Erden werden soll.
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Es ist viel Gl��ck in mir, Gl��ck, das mir meine Grenzen verschleiert und Gl��ck, das sie mir ins Unbestimmte hinausr��cken zu d��rfen scheint. Ich habe viel Talent zum Leben, -- wenn das Leben nur mehr Talent zu mir h?tte. Aber manchmal weht doch ein Windsto? alle die warme sch��tzende Illusion fort und dann sehe ich fl��chtig meinen Umri? und -- schaudere.
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Ich habe nur Einen wahren und wirklichen Feind auf Erden und das bin ich selbst.
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Wenn ich unter Menschen bin, bin ich wie auf Ferien. -- Und deshalb sollte ich eigentlich nicht mehr unter Menschen und am wenigsten unter Freunde gehen: denn sie wissen alle nicht, da? ich nur gastweise bei ihnen bin und ihnen zuh?re, da? mir f��r vieles von ihrem Leben und Treiben die letzte leidenschaftliche Aufmerksamkeit verloren gegangen ist, als w?re ich ein Mann, der etwa in einem Saal einer feinen und gro?en Musik zuh?rt -- aber drau?en vor der T��re steht heimlich sein Weib und wartet auf ihn und vor lauter innerer Unruhe h?rt er nur mit halbem Ohre zu und verbirgt kaum seine Zerstreutheit und mag manchem sch?rferen Beobachter mit Recht als kein sehr fachm?nnisch engagierter Zuh?rer gelten.
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Ich irre in diesen europ?ischen L?ndern umher wie ein Vogel in einem Treibhaus. Die Menschen glauben, weil ich von einem Ort zum anderen reise, lebte ich ein beneidenswertes Leben. Sie wissen nicht, da? mich letzten Endes jeder dieser Orte entt?uscht -- denn ��ber jeden ist der Fluch europ?ischer Zivilisation ausgegossen, vor dem er vor hundert, ja vor f��nfzig Jahren noch verschont war. Die entsetzliche N��chternheit der letzten 30, 40 Jahre kriecht einem ��berall nach, ja sie f?rbt auf einen selber ab: Man verhotellt zuletzt rettungslos. Denn wo kein Hotel ist, da ist kein Platz f��r dich mit deinem Rohrplattenkoffer und deiner schriftdeutschen Sprache. Ich habe wohl auch meine Zeit an die Gro?artigkeit unserer Epoche der Technik geglaubt, aber jetzt f��hle ich nur noch das Eine: da? sie die Erde entzaubert, indem sie alles allen gemein macht.
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Das abwechselnde Summen zweier oder dreier Wespen erinnert mich an die Responsorien der katholischen Kirche. Ich sehe die wohlgen?hrten Schwarzr?cke vor mir, ich sehe den zelebrierenden Priester auf den Stufen des Altars und den Altar selbst mit seinen schlanken Kerzen und alten Gem?lden.
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Ich habe diesen Herbst mit ��beltaten angefangen. Ich habe an zwei hei?en Septembertagen f��nf oder sechs Wespen get?tet, die in mein Zimmer gekommen waren und mich beunruhigten. Das war ganz und gar gegen meine Gewohnheit und nur durch eine Unruhe und Unbeherrschtheit zu erkl?ren, die unter dem Einflu? des S��dwindes mich vielleicht ebenso wie die Wespen ��berkommen hatte.
Sp?tere Bemerkung:
Ich wei? noch, wie mich damals besonders die 'Dummheit' der Tiere erregt hatte, die oft eine Stunde lang an der Zimmerdecke hin und her und auf und ab irrten, ohne den scheinbar so einfachen Weg durch die offene Balkont��r wiederzufinden oder wiederfinden zu wollen. ��bertragen wir diese meine Ungeduld und Unduldsamkeit auf G?tter und Menschen, so h?tten diese G?tter wohl den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als Menschen totzuschlagen.
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Mein ganzes Leben lang suche ich den Stachel, den ich
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